Kunst der Mimik.
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in einem Zustande, den sie vorher angenommen haben, und so bleibt
uns auch das, was vorhergegangen ist, gegenwärtig. Die Anforderung,
der Inhalt des einen Moments absorbirt und erfüllt nicht den ganzen
Menschen, macht auch die Situation, in der er sich befindet, nicht
von Grund aus neu. Und so bleibt auch seine Haltung, abgesehen
von einer einzelnen, momentan neuen Wendung, in ihrem bereits
angenommenen Stande oder Wesen. Sie erhält uns seinen bleibenden
Charakter und die ganze Situation und innere Verfassung, in der er
sich befindet, ununterbrochen gegenwärtig. So wird nun hier dasselbe,
nur viel vollkommener erreicht, was Lessing als die äusserste mög-
liche Andeutung des Transitorischen in der bildenden Kunst durch
die Wahl des nfruehtbaren Momentes" für zulässig hielt, und was in
der modernen Malerei im Gegensatze zur antiken Plastik auch er-
reicht wird. Wenn wir aber da aus dem Bilde eines dargestellten
Momentes nur durch Ueberlegung auf frühere und spätere schliessen
können, so haben wir dies nicht nöthig, wenn wir gesehen haben,
was vorhergegangen ist, und uns nun leicht (laran erinnern, weil wir
die bleibende Spur davon in der dadurch noch fortbedingten Haltung
der Person vor Augen behalten.
Alles, was in der sichtbaren Erscheinung des Schauspielers durch
das ganze Stück unverändert bleibt, die "Maske", wie es die tech-
nische Sprache des Theaters bezeichnend nennt, repräsentirt, kann
man sagen, den bleibenden Charakter der dargestellten Person; jede
Geberde dagegen, die augenblicklich dazu kommt, den Effect einer
auf die Person einwirkenden Situation, ihr Benehmen in derselben.
Das Bleibende muss demnach in der Komödie vorwiegen, die Be-
wegung in der Tragödie, weil in jener die Durchführung des
Charakters, in dieser der Fortschritt der Verwickelung es ist, worauf
sich die Wirkung der Dichtung gründet. Wenn aber im Verlaufe
der Handlung die einzelnen Geberden, die momentan auftreten und
Wieder verschwinden, in der Art ihre Spuren zurücklassen, dass da-
durch auch der beständige Habitus der Person allmäihlich umgestaltet
wird, so verkörpert sich hierin die Wirkung von Handlung und
Schicksal auf den ganzen Menschen, welche ihn von Stufe zu Stufe
des Leidens oder der Befriedigung führt und damit zuletzt auch dem
Charakter nach umbildct, wie dies im modernen Drama zur Geltung
gebracht wird. Der Mensch ist nicht einfür allemal fertig, schön