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Zwei
Stil
Arten von
ziemlich
künstlich.
Man
soll
ihn
sich
VOI"
und
nachher
anderen
Stadien seines Leidens denken, in geringerer Bedrängniss vorher, im
Zusammenbrechen hinterher. Dazu wird man auch um so mehr hin-
geleitet und angeregt dadurch, dass in den beiden Nebeniiguren, den
Söhnen des Laokoon, solch ein früheres und späteres Stadium des
Leidens zur Darstellung gebracht ist. Aber der Haupteindruck des
Werkes soll und muss doch ohne Zweifel die Trost- und Hilflosigkeit
des angehaltenen Seufzers sein und bleiben, welcher in der Hauptfigur
als augenblicklich gegenwärtig und unbeweglich packend verkörpert
isti). „In the Laocoon," sagt Hawthorne, „the horror of a moment
grew to be the Fate of interminable ages." Alles, was der Beschauer
in Gedanken noch hinzuthut, ist doch mehr oder weniger willkürlich
hineingetragen und nebensächlich.
Dagegen scheint Lessing mit einer ähnlichen Divinationsgabe, wie
man sie an seinem grossen Vorgänger Winckelmann rühmt, der die
Eigenthümlichkeit der griechischen Plastik so treffend charakterisirt
haben soll, obgleich man jetzt weiss, dass er fast gar keine Original-
werke derselben gekannt hat, so er mit seinem "fruchtbaren Moment"
die Theorie zur Würdigung moderner Werke der Malerei ausgerüstet
zu haben, die er selbst wenig gekannt hat, oder hat kennen wollen.
Bei Michelangelo kann man sich, ja muss man sich oft die Stellung
seiner Menschen in dem eben dargestellten Momente aus früheren her-
leiten und ihre Fortsetzung in Gedanken ergänzen, wenn nicht Vieles
an ihnen unverständlich bleiben soll. Seine Aurora ist aus dem Schlaf
erwacht, seine Nacht durch den überwältigenden Schlaf in ihre ver-
tracte Lage zusammengesunken, sein Adam fängt an, sich als be-
seeltes Wesen auf sich zu besinnen. Indem aber so die Grenze der
Einheit des Moments, an welche die Malerei in ihren Darstellungen
gebunden ist, im Erfolg des Eindruekes überschritten, ein V0r- und
Nachher hinzugewonnen wird, was sonst nur der Poesie zukommt,
verengt sich andererseits das Gebiet des Raumes, dessen volle Be-
herrsehung sonst der Malerei freisteht, in ähnlicher Weise wie in der
Poesie, die etwas Sichtbares nur durch den "einfachen Zug", wie
Lessing es nennt, markiren kann. Denn es werden nun auch zur
Vgl. meine Schrift „die Gruppe des Laokoon oder über den
Stillstand tragischer Erschütterung". Leipzig, C. F. Winter 1862.
kritischen