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Zwei
Stil
Arten von
geleistet werden kann, hat Paul Veronese, was mit Kraft- und Bravour-
stücken, Rubens gezeigt. Wird dann aber mit dieser Art von Glieder-
bewegung und Linienführung weitergearbeitet da, wo man modernere,
geistig-verwickeltere Handlungen und Stimmungen darzustellen ge-
denkt, so bleibt die leere Form übrig, die Grazie, wo sie nicht hin
gehört, wo vielmehr die angestrengteste Unterjochung der leiblichen
Organe durch die inneren Erregungen am Platze wäre, mit Einem
Worte: die abgegriffene, gedankenlose Manier, wie sie uns in den
Bildern von Kaulbach und Genossen entgegentritt, wenn sie Schiller
und Goethe, oder gar Shakespeare illustriren.
Dafür nun hat denn doch die moderne bildende Kunst andere
Formen gefunden, die freilich weder dem klassischen Ideal, noch dem
correcten Stil der rein malerischen Wirkung nach Lessing gemäss sind.
Allen voran Michelangelo (s. die beiden vorigen Vorträge). Seine
Menschengestalten zeigen nicht den gefalligen Umriss, nicht die Har-
monie der Haltung aller Glieder nach einem einheitlichen Motiv der Be-
wegung wie die antiken. Sie brauchen ihre Gelenke im Einzelnen stärker,
mit eckigeren Biegungen und isolirteren Impulsen. Die ganze Figur hat
dabei meist weniger Haltung. Die Glieder, die nicht eben besonders
aufgefordert sind, sich anzustrengen, thun es auch gar nicht, und nur ein
einzelner Griff der Hand, eine Wendung des Kopfes tritt momentan
energisch auf, oder erhebt sich wie selbstbewusst aus dem Schlaf, in dem
der übrige Körper zu ruhen scheint. So dehnen und wenden sich seine
nackten allegorischen Figuren, sogenannte Tageszeiten an den Gräbern
der Mediceer zu Florenz; so sitzen seine Sibyllen und Propheten an
der Decke der sixtinischen Kapelle in Rom in nachlässig einknicken-
der Haltung ihrer schweren Gliedinassen, und nur in vereinzelten
Impulsen macht sich der Geist bemerklich, wie in dem Einkrallen
der Finger jenes gewaltigen Moses.
Aber die Meister des Ausdruckes der Bewegung unter den
Deutschen, Hans Holbein, der Zeitgenosse der Renaissance, und Cor-
nelius, der grösste und doch bisher noch so wenig bekannte Künstler
unserer Tage, gehen hierin noch weiter. Ihre Figuren sind nicht nur
wie die des Michelangelo mannigfaltig in eckig geknickten Biegungen
ihrer Glieder zusainmengekauert, sondern ebenso oft und ebenso ein-
seitig ausgestreckt und ausgereekt. Und ihre Glieder sind nicht nur
wie bei jenem haltungslos wie altes Eisen auf und über einander ge-