der Kunst
Mimik.
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sie mit allen ihren Theilen ausgebreitet im Raume nebeneinander in
einem gewissen Momente sind, waren oder gewesen sein könnten, mit
der Bestimmung, dass wir sie so in dieser Lage, in diesem Zustande
dauernd anschauen können. Dagegen kann sie keine Veränderung
derselben, nichts, was nacheinander in der Zeit geschieht oder erfolgt,
zur anschaulichen Darstellung bringen und auch keinen momentanen
Zustand, der seiner Natur unmöglich anders als ganz vorübergehend
sein kann. Jeder Versuch, uns durch ein Bild die Illusion einer vor
dem Auge erfolgenden Bewegung zu geben, muss durch den Afactischen
Stillstand des Bildes Lügen gestraft werden. Die einzige Möglichkeit
eines gewissen Hinausgreifens über den einen ruhigen Moment der
Darstellung wird indirect dadurch gegeben, dass dieser Moment nach
Lessings Ausdruck möglichst „fruchtbar" gewählt ist, d. h. so, dass
der Zustand, in dem wir die Dinge erblicken, die Phantasie anregt,
sich einen andern als vorhergegangen oder nachfolgend auszumalen.
Die Poesie dagegen bringt durch die beständig fortschreitende
Darstellung in Worten für das Ohr gerade die Vorstellung des
Wechsels der Dinge, der Folge der Ereignisse leicht hervor. Sie
kann aber in jedem Momente nicht mehrere Eindrücke nebeneinander
stellen, also nichts zur lebendigen Vergegenwärtigung bringen, was
sich aus vielen Theilen, die im Raum nebeneinander existiren, auf-
baut, keine Bilder sichtbarer Dinge geben. Der Versuch, dies da-
durch zu erreichen, dass man Stück für Stück die Theile nennt, die,
wenn wir sie sähen, ein Ganzes ausmachen würden, muss misliilgen,
weil wir sie in Gedanken nicht z'u einem Ganzen zusammensetzen
können. Die einzige Möglichkeit, wie der Dichter uns dennoch die
Dinge, von denen er berichtet, augenblicklich wie anschaulich in die
Phantasie rufen kann, ist ihre Bezeichnung durch irgend einen einzigen
Zug derErscheinung, ausgedrückt durch ein einfaches Beiwort, wie
wenn Homer, den Lessing hier als Muster aufstellt, das Schiff nur
das schwarze, oder Hera nur einfach die lilienarmige nennt, also durch
Hervorkehrung eines "einfachen Merkmales", welches als ein besonders
hervorstechendes doch eine momentan so lebendige Vorstellung des
Gegenstandes in der Phantasie hervorrufen kann, wie es überhaupt
ohne eine Darstellung für das Auge nur möglich ist, oder aber durch
Verwandlung des zusammengesetzten Bildes in eine Handlung. Kein
moderner Dichter hat dies besser verstanden als Scheffel in den Liedern