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Michelangelo an
Decke
so aus: die Familien in den Stichkappen des Gewölbes sind auf der
Reise, die in den Lünetten zu Hause. Die Fläche der Stichkappen
ist ein Dreieck mit breiter unterer Basis, In diesem ist immer eine
Familie, in der Regel die Frau in der Mitte, Mann und Kinder um
sie her, zu einer fast geschlossenen Gruppe an der Erde zusammen-
gekauert. Wenn man diese Bilder einzeln in Gallerien anträfe, würde
man sie vielleicht auf das beliebte Thema "Ruhe auf der Flucht nach
Aegypten" taufen; denn in allen scheint die ganze Familie wie zur
Ruhe im Freien auf dem Boden gelagert. In den Lünetten aber ist
der Raum über jedem Fenster in zwei Hälften getheilt, in welchen
Mann und Frau wie in zwei Räumen einer Wohnung auf Bänken
sitzen, die mit dem Rücken an den obern Rand der Wölbung des
Fensters angelehnt sind; und hier sind sie mehr oder weniger häus-
lich beschäftigt, meist mit der Erziehung der Kinder, besonders die
Mutter, was ja auch das Hauptgesehaft ist, Wodurch sie sich als Vor-
fahren des Stammes legitimiren, aus dem das Heil der Welt geboren
werden soll. Wenn man aber daneben einen gemeinsamen Grundzug
von Trauer und Schmerz, von Hoffen und Harren auf Erlösung in
allen diesen Bildern erkennen will, so muss ich gestehen, derselbe
scheint mir ziemlich willlzürlieh hinzugedacht zu sein; aus dem Ein-
drucke der Bilder tritt er mir nicht entgegen.
Betrachten wir also nun 1) die einfachen Gruppen der Stichkappen
etwas naher, so finden wir sie alle dreieckig oder, wie man gewöhn-
lich sagt, pyramidal in dem gegebenen Raume eingefügt und aufge-
baut und meist um die Frau, also die Mutter, als die Hauptperson
des innern Familienlebens gruppirt, immer die ganze Familie mög-
lichst bequem und dicht bei einander am Boden gelagert und zu-
sammengehockt. Sie lassen auch vielfach die Köpfe hängen, und darin
will man wohl den Ausdruck der Trauer erblicken. Es scheint mir
aber meist mehr Müdigkeit auszudrücken. In einer Gruppe,
es Springer besonders als Zeichen von Schmerz und Gram
hebt, hat es einen noch äusserlicheren Grund. Die Mutter
bei der
hervor-
hat ein
Stück Zeug vor sich auf dem Schoosse ausgebreitet und schneidet mit
einer Scheere hinein. Das Kind darf mit anfassen; der Vater sieht
zu. Also müssen sie natürlich alle drei vor sich niederblicken. Die
Mehrzahl dieser Bilder aber zeigt die
zuschlafen, oder Wirklich schlafend,
ganze Familie im
die Köpfe nicht
Begriffe ein-
nur geneigt,