Kapelle zu Rom.
der sixtinischen
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sich erlauben dürfen, hier an heiliger Stätte, aber als Würdigste
Gäste, neben der Ein- und Unterordnung in und unter die allgemeine
Andacht, auch noch ihren eigenen Gedanken über die höchsten Fragen
des Lebens mit forsehender Prüfung nachzuhängen.
Und wenn nun so an den Zwickeln des Gewölbes die stufenartige
Geistesentwiekelung des Menschen in einer Fülle einzelner Gestalten,
fast wie Einzelstatuen gedacht und nebeneinander hingestellt, zur Dar-
stellung kommt, und wenn Michelangelo hier seinen eigenen plastischen
Stil am vollkommensten entwickelt, so wird diese Darstellung der
Menschheit in den Bildern, Welche die Fensternischen erfüllen, in der
Art erweitert, dass sich mehrere Personen zu einheitlichen Gruppen
zusammenfassen, und dieser Zusammenhang ist der der Familie.
Familienbilder sind alle diese Gruppen, sowohl die einheitlichen in
den Gewölbekappen über den Fensternischen, sogenannten Stiehkappen
des Gewölbes, als auch die in dem halbrunden Streifen der Wände
oberhalb der Fensteröflfnung, den sogenannten Lünetten, welche frei-
lich immer in zwei Hälften mit Mann und Frau nebst mehr oder
weniger Kindern getheilt sind, sich aber doch in Gedanken wie im
Raume immer Lmgezwvungen zur Einheit der Familie zusammenfassen.
Sie werden alle zusammen als "Vorfahren der Maria" bezeichnet, und
dies wird dadurch angezeigt, dass auf Tafeln mitten über den Fenstern,
welche jede Lünette in zwei Hälften theilen, der Stammbaum der
Maria angeschrieben ist. Dies ist nicht so zu verstehen, als ob nun
jedes Bild ein Glied des Stammbaums darstellen solle; sondern es
ist diese Bedeutung der Bilder nur in der Art durchgeführt, dass es
eine Reihe von Bildern des Familienlebens, als Bild der Abstammung
des Heilandes, wie jedes Menschen, aus einer langen Reihe von Gene-
rationen darstellen kann, die sich ohne viel Eigenthümlichkeit in der
breiten Masse des Volkslebens verlieren. Und so reprasentiren diese
Bilder in den Nischen die Menschheit in ihrem Zusammenleben, wie
die Einzeliiguren an den Gewölbezwickeln inider Entwickelung der
Individuen.
Die Gruppen in den beiden Theilen der Nischen aber, die oberen
in den Stichkappen des Gewölbes und die unteren in den Lünetten
der Virand, dicht über den Fenstern, stellen zweierlei Zustände des
Familienlebens dar. Unser alter Freund Leibnitz, der sich ja Jahre
lang mit diesen Bildern beschäftigt hat, (lrückte dies einmal einfach