der sixtinischen Kapelle
Rom.
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Platz in der Hauskapelle des Papstes gegönnt. Im Zusannnenhange
aber stellt die Unart dieser Rangen, die, wie in der Schule, im Ganzen
stillhalten müssen, aber ihren Muthwillen nicht ganz unterdrücken
können, auch eine Art von Durchgangsstufe in der Entwicklung vom
gedankenlosen Naturmenschen zur reifen Entfaltung aller Kräfte und
zur wieder in sich gekehrten höheren GEiStBSCIIltIXP dar.
3) die grössern Kinder, welche in Naturfarben gemalt, also schon
wie leibhaftig anwesend, die untere Spitze der Zwickel abwärts vom
Fusstritte der Sitze von Sibyllen und Propheten einnehmen, stehen
hier schlank und aufrecht, mit den Füssen dicht bei einander auf einem
kleinen Postamente da, theils nackt, theils mehr oder weniger be-
kleidet, theils paarweise symmetrisch, und zwar die einander gegen-
über an beiden Seiten der Kapelle, theils nicht. Es giebt im ganzen
Bereiche der Kapelle, ja man kann sagen: der Kunst von Michel-
angelo keine Bilder des Menschen, die im Stil und Charakter der
Antike so nahe stehen wie diese aufrecht stehenden Kindergestalten.
In der freien aufrechten Haltung stellt sich die Bildung des mensch-
lichen Körpers stets am vollkonnnensten als einheitlicher Organismus
mit harmonischer Action aller seiner Glieder dar, und ebenso leicht
und frei und sicher wie antike Statuen stehen diese Kinder hier auf
dem schmalen Posten, der ihnen gegeben ist, da. Aufwärts, wo der
Raum in dem Zwickel etwas breiter wird, breiten sie die Arme etwas
aus. Sie kommen damit zum Theil nahe an die Tafeln heran, die
über ihrem Kopfe an dem Fusstritte der Sitze von Sibyllen und
Propheten hängen und die Namen derselben tragen. Man sagt daher
auch, dass diese Kinder die Tafeln tragen; aber bei näherer Be-
sichtigung fassen sie dieselben doch nicht fest genug an. Eher greifen
sie leicht mit den Händen in Schlingen von Schnüren, welche mit und
an den Tafeln aufgehängt sind, wie um sich selbst etwas daran an-
zuhalten, oder stemmen in ähnlicher Absicht die Hände etwas gegen
die Ränder der Gewölbezwickel an, wie z. B. unter der persischen Sibylle
(Seite 132); aber auch dies Anhalten hat doch nur den Charakter
eines leichten Antastens für den Fall einer kleinen unvorhergesehenen
Schwankung. Im Ganzen stehen sie frei und sicher da. Und in
dieser einfach sicheren Haltung repräsentiren sie eben auch eine Art
von jugendlichem Uebergang aus kindlich primitiver Zerstreutheit zu
gereifter geistiger Concentration.