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lälichelangelo
der Decke
welche in Steinfarbe, also wie Stücke der Architektur, je ein Paar
an jedem Pilaster zur Seite der Sitzplätze von Sihyllen und Propheten
und je zwei Paar symmetrisch zu beiden Seiten desselben Sitzplatzes
angebracht sind. Da müssen sie nun fein geduldig aufrecht neben
einander stehen, um die Last der Consolen über ihren Köpfen tragen
zu helfen. Aber sie nehmen es damit nicht zu genau. Es ist, als
wüssten die Schelme, dass sie von Stein sind. iWenn sie also auch
mit Kopf und Füssen nicht vom Platze weichen dürfen, so treiben
sie doch, so gut es ohne das geht, allerlei Unfug und Allotria, oder,
wie Springer sagt, "unschuldige Neckerei" mit einander. Und wenn
wir näher zusehen, so regt sich in diesem kindischen Treiben schon
allerlei, was fast über die Grenzen nur kindlicher Spielerei hinaus
geht. "Tiefer Sinn liegt oft im kindischen Spiel". Denn l) sind es
gar nicht so kleine Kinder, wie man auf den ersten Blick denkt, weil
sie in einem sehr kleinen Massstabc neben den Sibyllen und Propheten
gehalten sind; ihre Körperformen zeigen schon recht entwickelte
Jugendfülle (bei der persischen Sibylle, Seite 132, und beim Propheten
Jeremias Seite 146). Und 2) kommt in Betracht, dass fast in jedem Paare
ein Mädchen und ein Bübchen beisammen stehen. Da ist es nur natür-
lich, dass es ihnen etwas absondcrlich vorkommen muss, wie sie so
gänzlich unverhüllt bei einander und vor aller Welt dastehen. Nur
die Paare neben dem Propheten Jesaias, welche nur aus Mädchen be-
stehen (Seite 133), treten ganz unbefangen, in gleichem Schritt und
Tritt neben einander vor. Andere dagegen blicken verschämt zu
Boden, oder sie versuchen sich einen Schleier umzunehmen (bei der
persischen Sibylle, Seite 132). Oder ein Knabe streicht dem Mädchen
zutraulich mit der Hand über die Stirn hinauf (beim Prophet Jeremias
Seite 146); sie fasst ihn von hinten am Kopf. Eine andere will dem
Knaben die Hand, die er ihr auf die Schulter legt, wieder herunter-
nehmen (beim Propheten Ezechiel Seite 141). Es kommt aber auch noch
munterer. Die Knaben werden zudringlich, versuchen die Mädchen
an ihrer Seite zu küssen oder zu umarmen, und diese wehren sich
nun ebenso handgreiflich (bei der erythräischen Sibylle Seite 140) oder
suchen zu entfliehen. Kurz, man kann sagen: wie in der kirchlichen
Kunst des Mittelalters allerlei Kurzweil, hier und da versteckt, dem
Ernst der heiligen Hauptdarstellungen zur Seite geht, so hat auch
Michelangelo in diesen Karyatiden dem Humor einen bescheidenen