mit der Antike.
Vergleich
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keit einer harmonischen Befriedigung im Leben und damit jene
grosse Reaction erlösungsbedürftiger Weltentäusserung hervorrief,
nach welcher wir dasselbe Zeitalter das der Reformation nennen,
Michelangelo, selbst zu den ersten Grössen der Renaissance zählend,
lebte doch nicht Wie sein glücklicherer, schnell dahin gegangener
Nebenbuhler Raphael, den vollen Zug jugendlicher Heiterkeit der
Renaissance. Einsam und ernst, mit den Jahren, die er fast bis auf
neunzig brachte, hörte er nicht auf zu bilden und zu schaffen; denn
über siebzig war er alt, als er erst noch anfing, den Bau der Peters-
kirche zu übernehmen, in deren riesiger Kuppel er der einen katho-
lischen Kirche die monumentalste Stätte und bildliche Darstellung
gegeben hat. Er fand aber in "seiner Kunst, so stark und voll sie
uns entgegentritt, nicht den vollen Frieden des Geistes, sondern theilte
den der deutschen Reformation verwandten Zug von Vileltverachtung,
welcher damals auch in Italien und besonders in den Kreisen seiner
gefeierten Freundin Vittoria Colonna die Geister mächtig bewegte,
wenn er auch hier nicht zur Trennung von der katholischen Kirche
mit ihrem sinnlich lebendigen Cultus, mit ihrem Glauben an die
Blöglichkeit des Heiligen auch in dieser Welt führte. Ergreifend
klagt er in einem Gedichte seines Alters, die Schwärmerei, welche ihm
die Kunst zum Idol und zur Gebieterin seines Lebens gemacht, er-
kenne er jetzt als eine Verirrung, da Malen und Meisseln nicht zum
wahren Frieden führe.
Diesen Geist Michelangelo's, der nicht in klassischer Heiterkeit
und harmonischer Befriedigung sich des Lebens freuen kann, weil er
dessen Gegensätze zu tief empfindet, kann man sagen: athmen auch
seine Werke. Wer von dem Geiste ausgehtiuntl die Mittel zu seiner
Veranschaulichung als das, was sich danach richten muss, ansieht,
wird sagen, so fühlte Michelangelo, und deshalb musste er solche
Menschen uns darstellen, wie er gethan hat. Unsere Betrachtung hat
umgekehrt die technischen Studien und Fertigkeiten, die er besass,
zum Ausgangspunkt genommen und uns dahin geführt, dass sie ihn
besonders befähigten, gerade in diesem Geiste den Menschen dar-
stellend aufzufassen. Sollen wir darüber streiten, welche Art der Be-
trachtung uns besser die YVerke der Kunst verstehen lehrt? 10h (lenke,
jede kann an ihrem Theile dazu beitragen. Denn das macht ja eben
den grossen Künstler, das macht seine Wlerke zu einer so einzigen