Volltext: Vorträge über Plastik, Mimik und Drama

Die 
aufrechte 
Haltung 
des 
Menschen 
Stehen 
und 
Gehen. 
Antrittsrede an der Universität Tübingen 
1876. 
Da ich als neu ernannter Professor hiesiger Universität die Pflicht 
habe zu versuchen, 0b ich auf eine kurze Stunde Ihr Interesse für 
einen Gegenstand meiner Fachstudien gewinnen kann, so will ich den- 
selben der Veranlassung gemäss an ein Paar äussere Eindrücke an- 
knüpfen, welche, zufallig mit meinem Einzuge hier in Tübingen zu- 
sammentreifend, mir selbst gerade zu dieser Zeit das Thema wieder 
einmal nahegelegt haben, welches ich nun auch Ihnen vorlegen 
möchte. Ich beginne mit einem ganz kleinen persönlichen Er- 
lebnisse: mein jüngstes Kind lernte zu der Zeit gerade laufen. 
Alle guten Väter und Mütter wissen, was für ein ausgezeichneter 
Moment in den Freuden des Familienlebens das ist. Wir sind 
geneigt, unsere Kinder von Anfang an als unseres Gleichen zu 
betrachten. Theologen, Juristen und Mediciner stimmen darin über- 
ein. Das Kind, das von Menschen geboren ist, wird v01n ersten Tage 
an als ein Subject respectirt, für dessen Seelenheil, Privatrechte und 
Gesundheit gesorgt werden muss. Ein Skeptiker könnte sagen, dass 
dies alles einstweilen nur auf guten Glauben angenommen wird. Denn 
das kleine Wesen zeigt noch wenig menschliche Leistungen. Mit der 
Zeit aber wird dieser gute Glaube durch die Erfahrung handgreiflich 
bestätigt, und einer der frappantesten Fortschritte auf diesem Wege 
ist die Annahme der aufrechten Haltung und des Ganges auf zwei 
Hßllke, Vorträge. 1
	        
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