Volltext: Vorträge über Plastik, Mimik und Drama

der Antike. 
Vergleich mit 
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können sie uns der Reihe nach als der Zeit nach auf einander folgend 
vorstellen. Die kindliche Menschheit, wie sie in den nackten liegen- 
den Gestalten von Michelangelo erscheint, erhebt sich im Vollgefühl 
der Jugend zu der aufrechten Haltung der Antike und setzt sich in 
den bekleideten Figuren von Michelangelo im Alter wieder nieder. 
In Wahrheit existiren in civilisirteuZuständen alle diese Stufen neben- 
einander, wie ja auch Michelangelds Gestalten auf beiden äussersten 
Stufen theils jung, theils alt sind. Ein idealer Zustand eines Volkes 
und Staates mag es sein, wenn nlöglichst alle erwachsenen Menschen 
auf einer mittleren Stufe stehen, der Barbarei entwachsen, aber auch 
noch nicht durch Ueberwiegen geistiger Thätigkeit vom Aeusseren 
zurückgezogen und darum alle möglichst gleich sind. S0 mag es im 
alten Griechenland zwar in der Wirklichkeit auch nicht ganz gewesen 
sein, aber man dachte es sich doch möglichst so; der herrliche Dulder 
Odysseus und sein göttlicher Sauhirt beim Homer verstehen sich so 
ganz, wie es heutzutage Menschen verschiedener Klassen unmöglich 
können, um so weniger können, je einseitiger ein Theil derselben sich 
ganz dem geistigen Leben zuwendet. Schiller mag im Rückblicke auf 
jene Welt nicht nur in jugendlicher Schwärmerei die Klage der Re- 
signation anstimmen, sondern auch in seiner reifsten Zeit noch sagen: 
"Liebe Freunde, es gab schönH-e Zeiten 
"Als die unsern, da ist nicht zu streiten, 
„Und ein edler Volk hat einst gelebt. 
"Könnte die Geschichte davon schweigen, 
"Tausend Steine würden redend zeugen, 
"Die man aus dem Sehooss der Erde gräbt." 
Aber 
W38 
hilft 
Er 
lTlllSS 
sogleich 
Wieder 
fortfahren : 
„D0ch es ist dahin, esjst entschwunden, 
„Dieses hochbegünstigte Geschlecht. 
„Wir, wir leben, unser sind die Stunden 
„Und der Lebende hat Recht." 
J a, die moderne Menschheit mit ihren unvermeidlichen grösseren Ver- 
schiedenheiten der Einzelnen hat auch ihre Berechtigung, kann nicht 
zu jener Mitte zwischen geringster und höchster Geistescultur zurück- 
kehren, weil dann die letztere überhaupt wieder aufhören müsste. 
Unser Geschlecht geht zwar im Vergleich mit der Zeit Schiller's 
darauf aus, im Ganzen jenem antiken Ideal "wieder "näher zu kommen. 
Unser Volk strebt seit jener Zeit von seiner einseitig gesteigerten 
geistigen Entwickelung, zu einem Zustande zurückzukehren, WO' die
	        
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