Volltext: Deutsche und italienische Kunstcharaktere

Peter Paul Rubens. 
Ernteabend der Pinakothek zu München, gerne die Natur in ihrem raschen 
Wechsel auf, und der Regenbogen, sowie die abziehenden, schweren 
violetten Wolken erinnern hier an den Gewittersturm, der heute die 
Arbeit fast unterbrochen, der aber, seitwärts vorübergegangen, nur den 
Glanz der Sonne um so herrlicher, die farbenfreudige Landschaft um 
so heiterer erscheinen lässt. 
Rubens war die Natur, wie sie ist, das Schönste; in ihr, nicht ausser 
ihr lag sein künstlerisches Ideal, daher weiss er die tiefe Poesie auch der 
bescheidenen Landschaft seiner Heimath zu empfinden und darzustellen, 
und gerade das einfach Natürliche besass für ihn offenbar einen hohen 
Reiz, gab ihm ein gewisses Correktiv, bewahrte ihn vor Uebertreibung. 
Rubens kannte aber auch die ganze Grossartigkeit der Natur; nicht nur 
in den Niederlanden, sondern auch in gewaltigen Hochgebirgen hatte er 
die Landschaft studirt; nicht nur an heiteren und bewegten Tagen, sondern 
auch in Sturm und Wetter hatte er sich draussen umhergetrieben, und 
von dieser Seite ergriff er die Landschaft mit einer Grösse und Macht 
wie kein Anderer. Ist in jenen einfacheren Landschaften seine Stellung 
eine eigenartige, hochbedeutende, so ist sie in diesen mehr dramatisch 
erfassten, die durch ihre Staffage zu historischen Landschaften werden, 
eine völlig einzige. Den Holländern war durch den ganzen Charakter 
ihrer Kunst diese Gattung verschlossen, und erst das I9. Jahrhundert greift 
sie mit Rottrnands und Preller's herrlichen Werken unter anderen Gesichts- 
punkten wieder auf, aber an elementarer Gewalt erreichen auch sie 
Rubens' Schöpfungen nicht, vor die Jene treten mögen, die heute dieser 
grossartigsten Gattung der Landschaftsmalerei das Recht der Existenz 
bestreiten wollen. 
Als Dichter erscheint Rubens in diesen grossartigen Landschaften, 
der die Poesie und eigenartige Bedeutung der Geschicke des Menschen 
in der Macht und Grösse gewaltiger Naturereignisse schildert, so in der 
herrlichen Odyssee-Landschaft (Galerie Pitti) und am gewaltigsten in der 
Landschaft.mit Philemon und Baucis (Wien k. Gemälde-Galerie). 
In der Mitte jener Landschaft, im Palast Pitti, bricht die Sonne im 
vollem Glanze durch die Wolken und strahlt ihr goldenes Licht über das 
auf der Bergterrasse gelegene Schloss der Phäaken. Links, wo an dem 
Meere die Hafenstadt liegt, ziehen schwere Wolken ab, in einzelnen 
Regenschauern sich ergiessend; sie mahnen an die Leiden, die Odysseus 
überstanden, der sich im Vordergrunde, jeglichen Besitzes beraubt, Hülfe 
flehend an Nausikaa wendet. In den Wolken aber bittet Athene bei Zeus 
für ihren Schützling, und dies deutet, gleich dem heiteren Sonnenlicht, das 
auf das furchtbare Gewitter folgt, darauf hin, dass der Held einer glück- 
lichen Zukunft entgegengeht, dass sein langes Leiden jetzt zu Ende. Auf 
der rechten Seite erhält die grossartige Landschaft ihren Abschluss durch
	        
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