Volltext: Deutsche und italienische Kunstcharaktere

Rubens. 
Paul 
Peter 
243' 
zeichnet, ist die harmonischste Lösung, welche dieses grossartigste 
Problem unter den dramatischen Vorwürfen unserer kirchlichen Kunst 
erfahren hat. 
Den ganzen Glanz seiner kirchlichen Kunst, das mächtig gesteigerte 
Leben in derselben zu entfalten, dazu bot Rubens die grossartigste Gelegen- 
heit die Ausmalung der Jesuitenkirche in Antwerpen (1620). In erster 
Linie war es dem Meister hier offenbar um den mächtigen Gesammt- 
eindruck der ganzen Kirche als eines einheitlichen Kunstwerkes zu thun, 
und das Ganze muss in der That auch eines der grossartigsten, präch- 
tigsten Werke Rubensscher Kunst gewesen sein, dessen Untergang uns 
nicht nur um Rubens" umfangreichstes Werk, sondern auch um eine seiner 
charakteristischsten und grossartigsten Schöpfungen auf dem Gebiete der, 
kirchlichen Kunst gebracht hat. 
Von den Werken der Spätzeit des Künstlers möchte ich nur auf 
zwei Beispiele hinweisen, wegen der dramatischen Wucht, die jetzt vor 
Allem den Künstler charakterisirt: auf die Kreuztragung im Museum zu 
Brüssel, die etwa 1637 entstanden, und auf den bethlehemitischen Kinder- 
mord in der älteren Pinakothek zu München. Bei dem so ausserordentlich 
häufig behandelten Moment der Kreuztragung, wie Christus unter dem 
Kreuze zusammenbricht und sich zu den klagenden Frauen wendet, 
ergeben sich die Hauptpunkte der Komposition so einfach, dass unter 
den verschiedensten älteren Darstellungen, selbst wenn gewiss gar kein 
Zusammenhang zwischen ihnen besteht, sich doch stets, wenigstens für 
den oberflächlichen Beobachter, eine Reihe von Aehnlichkeiten ergeben. 
Das Rubens'sche Bild aber hat mit den älteren Darstellungen gar nichts 
Verwandtes; die stürmisch bewegte, leidenschaftliche Auffassung erscheint 
ebenso neu, wie der kühne Gedanke, den Zug darzustellen, wie er eben 
den steilen Berg emporklimmt und sich rasch fast durch die Diagonale 
des Bildes bewegt. Während die Spitze des Zuges oben links hinter 
einem Abhang verschwindet, sehen wir unten rechts die beiden Schächer, 
von Kriegsknechten geführt, aus der Tiefe heraufsteigen, so dass sie nur 
bis zu den Hüften sichtbar sind. Christus, ungefähr in der Mitte des 
Bildes, bricht, nachdem er eben eine Stufe erklommen, unter der Last 
des schweren Kreuzes zusammen, das zwei Männer mit gewaltiger An- 
strengung wieder emporheben. Veronika reicht ihm das Schweisstuch, 
wehklagend stürzt ein junges Weib mit ihrem Kinde herbei, ein Trupp 
Reiter sprengt seitwärts rasch vorüber. Das Drängen des Zuges, das 
hülflose Leiden Christi gegenüber der Macht seiner Feinde, die ihn mit 
roher Gewalt vorwärts treiben, die Klage der Frauen, der Schmerz Christi, 
der mit dem edlen, seelenvollen, durchdringenden Blick den Beschauer 
ansieht, vereinen sich zu einer ebenso tief ergreifenden, als machtvollen 
dramatischen Wirkung. 
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