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Peter Paul Rubens.
Schrecken im Sturze der Verdammten, in der Landschaft, vom friedlichsten
Idyll bis zur Entfesselung der Elemente, welche die Erde zerstören. In
erster Linie aber erscheint Rubens doch als der grosse Dramatiker, auch
dies begründet durch seine Zeit, in der die furchtbaren Kriege Europa
yerheerten.
In dem düsteren Bild der Kreuzerhöhung, das Rubens 1610 für die
St. Walpurgiskirche malte, sehen wir einen furchtbaren Akt roher Ge-
waltthat; mit äusserster Kraftanstrengung richten die Henkersknechte das
Kreuz auf, an das der Heiland genagelt ist. Die Bewegung des Ge-
kreuzigten zeigt, wie furchtbarer Schmerz ihn durchzuckt, aber doch
verkündet der edle Körper, der herrlich aus dem Bilde leuchtet, wie
erhaben über seine Peiniger der Dulder, der voll Schmerz aber auch voll
Gottvertrauen die Augen aufschlägt zum Vater.
Vom September 1611 bis September 1612 malte Rubens im Auf-
trage der Antwerpener Schützengilde die Kreuzabnahme. Gegenüber
der erschütternden Wirkung der Kreuzerhöhung erscheint die Kreuz-
abnahme als der harmonische, versöhnende Schluss des gewaltigen Dramas.
In scharfem Gegensatz zu der Leidenschaft, die Daniel da Volterra auf
seinem Bilde gleichen Inhaltes entfesselt, ist daher Rubens, Bild trotz des
tiefsten Empfindens eine gewisse ruhige, gemessene Haltung eigen. Die
Freunde nehmen den theuren Leichnam vom Kreuz, um dem Toden ihre
Liebe zu bezeugen, um ihn zu bestatten.
Es ist für Rubens in hohem Grade bezeichnend, dass selbst seine
Darstellung der höchsten Qual, des schwersten Leidens Christi, doch
etwas Versöhnendes innewohnt, dass selbst sein Christus am Kreuz
(München, Pinakothek), der soeben ausgelitten, etwas Triumphirendes besitzt.
Düstere Nacht umgiebt den Erlöser; entsetzt ist Alles von der Schädel-
stätte geflohen, aber das herrliche Licht, in dem der Körper aus dem
Dunkel herausstrahlt, weckt den Gedanken, dass Christus durch den Tod
am Kreuz die Erlösung vollendet, zum Vater heimgekehrt ist. Wie
scharf kontrastirt diese Auffassung zu dem Bilde des Gekreuzigten aus
van Dyck's später Zeit in der gleichen Sammlung, das in seinem fahlen,
grauen Ton, in den unendlich schmerzvollen Zügen des verlassen am
Kreuz Leidenden an die Worte erinnert: „Mein Gott, mein Gott, warum
hast du mich verlassen?"
Mit der Kreuzerhöhung und Kreuzabnahme erreicht Rubens im
Historienbilde zuerst die volle, ganz dem Wesen des gewaltigen Stoffes
entsprechende Freiheit und Grösse in formeller wie in koloristischer Hin-
sicht; er vereint hier die Grösse des Stils, die bisher das ausschliessliche
Eigenthum der Italiener war, mit der Tiefe nordischen Empnndens, und da-
durch erscheinen die Werke als bedeutende Marksteine in der Entwicklung
zunächst der kirchlichen, dann aber auch der gesammten Malerei des Nordens.