236
Peter Paul Rubens.
lichen Leben ihrer Zeit gründet, dann müssen wir sie eine wahre nennen.
Wir sind heute glücklicher Weise so weit gekommen, dass wenigstens
Manche erkennen, dass auch eine Barock- und Rokokokirche ein herr-
liches Denkmal frommer Gesinnung, ein geeigneter Ort zum Gottes-
dienste sein kann, dass es nicht nöthig ist, sie mit mittelalterlichen Bau-
formen zu verquicken, damit sie den rechten, kirchlichen Stil erhalte;
warum sträubt man sich dagegen, den kirchlichen Charakter in Rubens
Kunst zu erkennen 1)? Die kirchliche Kunst lässt die verschiedensten
Auffassungen zu; welche der Künstler wählt, bestimmt vor Allem der
Charakter des kirchlichen Lebens seiner Zeit, und darin wird wieder die
Kunstgeschichte zur hochbedeutsamen Quelle der Kulturgeschichte.
Der kindliche Glaube, den Fiesole malt, kann in der Hochrenaissance
nicht mehr den Grundton der kirchlichen Kunst angeben; Fra Bartolommeo,
nicht minder gläubig als sein Vorgänger, muss zu einem anderen Stil
gelangen, und Michelangelo zumal in seinen späteren Jahren, gerade um
eine wahre, kirchliche Kunst zu schaffen, dieselbe in neue Bahnen lenken.
Die schlichte Innigkeit der alten flandrischen Maler wäre in Rubens"
Tagen ebenso unwahr geworden, war deshalb für den grossen, aus dem
Geiste seiner Zeit schaffenden Künstler ebenso unmöglich, wie die
klassische Hoheit der vollendetsten kirchlichen Schöpfungen Raphaels
Die Kirche, für die und aus der Rubens malte, war die des Katholicismus
des I7. Jahrhunderts, die streitende Kirche, die Kirche, die ihren vollen
Glanz entfaltet, um dadurch zu siegen und ihren Sieg zu verkünden.
So erklärt sich der Charakter der kirchlichen Kunst von Rubens;
sie will durch die Pracht seines herrlich leuchtenden Kolorites glänzend
wirken und durch das Frische, Gesunde, Lebensfreudige und Wohlige
seiner Menschen. Ruhig, majestätisch entfaltet diesen Glanz am poetisch-
sten der um 1630 gemalte Altar des hl. Ildefons (Wien k. Gemälde-
Galerie). Auf dem Mittelbilde kniet der hl. Ildefons vor Maria, neben
deren Thron vier heilige Jungfrauen stehen, und erhält von der Himmels-
königin ein neues Messgewand zum Dank für die Vertheidigung ihrer
Keuschheit gegenüber Helvetius. Rubens fasst in seiner realistischen
Kunst die Scene nicht, wie dies van Dyk wiederholt thut, als Vision,
sondern in schlichter Wirklichkeit auf. Maria sitzt auf einem Throne,
den kräftige Säulen schmücken, und auf den Stufen des Thrones kniet
der Kardinal. Gleichwohl besitzt das Bild ein bedeutendes ideales
Moment, aber nicht, wie bei der Antike oder einem grossen Theil der
italienischen Renaissancekunst, durch die Form, sondern durch Licht und
Farbe. Rubens ist zwar auch in der Form durchaus kein einfacher
B. Rooses: Geschichte
München ISSx.
1) So z.
Franz Reber.
Antwerpens.
der Malerschule
Deutsche
Ausgabe von