Volltext: Deutsche und italienische Kunstcharaktere

Paul Rubens. 
Peter 
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Die verschiedenen Gattungen der Malerei treten bei Rubens in ge- 
wissem Sinne gleichberechtigt nebeneinander, dass aber gleichwohl auch 
bei einer Charakteristik seines Schaffens die kirchliche Kunst in den 
Vordergrund tritt, widerspricht dem Gesagten durchaus nicht, denn der 
Grund dieser Thatsache ist hier ein anderer als im I5. und I6. Jahr- 
hundert, wo der Vorrang der kirchlichen Kunst noch daher rührte, dass 
während des Mittelalters die Kunst ausschliesslich im Dienste der Kirche 
herangewachsen war. 
Der Grund des Vortrittes der kirchlichen Kunst bei Rubens ist ein 
äusserlicher und ein innerlicher; auf den ersteren wies ich bereits oben 
hin: die katholische Kirche des I7. Jahrhunderts bedurfte einer grossen, 
glänzenden Kunst; wer war mehr geeignet, eine solche zu schaffen, als 
Rubens? daher wurden ihm durch die Kirche die grossen Aufträge zu 
Theil. Der tiefere Grund ist aber der, dass in Rubens seine Zeit die ge- 
waltig erregte erste Hälfte des I7. Jahrhunderts ihren grossen künst- 
lerischen Ausdruck gefunden hat. Gerade darin erscheint Rubens wieder 
so gross, wie er dem Charakter seiner Zeit, den Interessen, die sie 
bewegten und erregten, Ausdruck verlieh. Die grossen kirchlichen Fragen 
aber beherrschten in erster Linie theils thatsächlich, theils scheinbar, damals 
das ganze Leben; die kirchliche Kunst musste deshalb in den Vorder- 
grund treten, und neben ihr steht, charakteristisch für das I 7. Jahrhundert, 
die Kunst für den Fürstenhof. Die Thatsache ist für den Kulturhistoriker 
fast ebenso interessant, wie für den Kunsthistoriker, wie Rubens' ganze 
Erscheinung, eben weil sich in ihm der Charakter, die grossen geschicht- 
lichen Vorgänge seiner Zeit so mächtig wiederspiegeln. 
Mit dieser Auffassung treten wir an die Frage: ist Rubens' Kunst 
eine kirchliche? und ich glaube, obgleich die Frage meist negativ beant- 
wortet wird, wir müssen sagen: Rubens' Kunst ist  soweit sie diesem 
Gebiete angehört  in der That eine kirchliche, aber in dem Geiste der 
katholischen Kirche des I7. Jahrhunderts; deshalb erschien sie auch dieser 
selbst als kirchlich, sonst würde sich die Kirche ihrer gewiss nicht in so 
grossartigem Maassstab bedient haben. Dass die Jesuiten in Neuburg 
gegen Rubens Jüngstes Gericht protestirten, ist ein vereinzelter Fall, der 
diese Anschauung nicht erschüttern kann; derartige Meinungsverschieden- 
heiten zwischen kirchlicher und künstlerischer Auffassung haben stets 
bestanden und werden stets bestehen. 
Einen Stil, den man schlechtweg als den kirchlichen bezeichnen 
könnte, besitzt die christliche Kunst nicht, vielmehr beruht ihre grosse 
Kraft und Lebensfähigkeit gerade darin, dass sie die verschiedensten 
Auffassungen zulässt, wie sie durch die Entwicklung des geistigen Lebens, 
durch die Verschiedenheit der Völker, der Stämme und der Individuen 
begründet werden, und, wenn eine kirchliche Kunst wirklich in dem kirch-
	        
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