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Peter
Paul
Rubens.
wie man sie gewöhnlich aufzufassen pflegt, sondern trotz allem Unerquick-
lichen, was ja auf diesem Gebiete geleistet wurde, im Grunde genommen
doch eine Folge gerade der bedeutendsten Züge jener Zeit. Das Streben
nach schöner, edler Form, mehr aber noch die Bereicherung der künstlerisch
darzustellenden Gegenstände, die damit über das vorher im Norden aus-
schliesslich herrschende religiöse Gebiet hinausgriffen, waren von hoher
Bedeutung und lassen manches künstlerisch wenig erfreuliche Werk dem
Historiker interessant erscheinen.
Rubens' Neigung für mythologische und allegorische Gegenstände
wurde wohl schon durch Otto van Veen, weiterhin durch Mantegna und
noch mehr durch Giulio Romano angeregt. Rubens kannte aber die
antike Geschichte und Sage nicht nur durch die Werke seiner Lehrer und
Zeitgenossen in Antwerpen oder durch die italienische Kunst, sondern er
widmete ihr auch selbst ein eingehendes literarisches Studium, worin ihn
namentlich der Aufenthalt in Italien förderte. Seine Erziehung in der
Jesuitenschule, sein naher Umgang mit Veen, gemeinsame Studien,
besonders in Rom, mit seinem Bruder Philipp, führten ihn zum archäo-
logisch-philologischen Studium des Alterthums, wie es die Niederländer
des I7. Jahrhunderts betrieben und er pflegte dies durch sein ganzes Leben,
stets angeregt durch den persönlichen und schriftlichen Verkehr mit
Gelehrten.
Wohl bald nach der Rückkekr nach Antwerpen malte Rubens das
Bild, das sich jetzt in der Pitti-Galerie befindet, das ihn im Umgang mit
seinen gelehrten Freunden vorführt. Sein Bruder Philipp, Grotius und
Lipsius sitzen, in wissenschaftliche Debatten vertieft, über ihren Büchern,
und Peter Paul steht als aufmerksamer Zuhörer bei ihnen; die Büste
des Seneca in einer Wandnische deutet an, mit welchen Stoffen sich die
Unterredung beschäftigt; durch das Fenster sehen wir in eine italienische
Landschaft. Diese gelehrten Studien sind charakteristisch für Rubens"
Streben nach möglichst vielseitiger Bildung; aber auch für seine Kunst
waren sie von Bedeutung, denn durch sein selbständiges Einleben in
die Antike, das doch nur diese Studien ermöglichten, gelang es ihm, sich
gleich jenen älteren Meistern hier eine eigene Welt zu schaffen, die aber
durch die Unerschöpflichkeit der Rubens'schen Phantasie weit reicher, durch
seine Farbenpracht weit glänzender wurde als die seiner Vorgänger.
Aber auch die Kunst der Antike studirte Rubens; er besass
selbst eine stattliche Sammlung ihrer Werke, wusste ihre Vorzüge, vor
Allem ihren Schönheitssinn zu schätzen, und sagt einmal: 265 genüge
nicht für den Künstler, die antiken Statuen zu kennen, sondern er könne
sich ihrem Studium nicht sorgfältig genug widmen, er müsse von ihrem
Verständnisse ganz und auf das Innigste durchdrungen seinß Vorüber-
gehend, wie z. B. bei den wohl noch in Italien gemalten drei Grazien