Peter Paul
Rubens.
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der Decke der sixtinischen Kapelle. Dass die Werke dieses Gewaltigen,
dessen mächtiger Einfluss in der Kunst des I7. Jahrhunderts noch so sehr
fühlbar, den grössten Eindruck auf den jugendlichen Rubens machen
mussten, ist natürlich. Die unvergleichliche, dramatische Wucht Michel-
angelds, seine souveräne Beherrschung der menschlichen Figur mussten
Rubens mächtig anziehen, welcher der grösste Dramatiker in der Malerei
nördlich der Alpen wurde, der unübertroffene Meister der freiesten, momen-
tansten Bewegung. Aber wie frei steht er doch auch Michelangelo gegen-
über; es ist richtig, dass Rubens grosses Jüngstes Gericht, das er etwa
1617 in Antwerpen malte, noch deutlich den Eindruck von Michelangelos
Riesenwerk erkennen lässt, aber trotzdem zeigen gerade Rubens Dar-
stellungen des Jüngsten Gerichtes den Fortschritt gegenüber auch diesem
seinem genialsten Vorgänger und lehren, wie nicht leicht zwei verschieden-
artigere Charaktere als er und Michelangelo gedacht werden können.
Wie spricht dieser Unterschied aus den weichen, wohligen Gestalten des
Rubens, die rein malerisch empfunden, der Ausdruck seiner Freude an der
Natur, und jenen ganz plastisch gedachten, sehnigen Recken Michelangelds,
indenen er ein Geschlecht schafft, grösser und machtvoller als die Be-
wohner dieser Erde.
Nach Caravaggio, den Rubens in Rom vielleicht auch persönlich
kennen gelernt, malte er eine Grablegung, und leicht begreiflich ist, dass
dieser in seinem Naturalismus zwar sehr ungestüme, aber doch entschieden
bedeutende und für die Kunst des I 7. Jahrhunderts epochemachende
NIeister für ihn von hohem Interesse war. Besonders scheint Rubens aber
auch dem Künstler bedeutende Anregungen zu verdanken, der den Cha-
rakter Mantua's heute noch so wesentlich bestimmt, nämlich Giulio Romano.
Die kräftige, derb naturalistische Art Giuliols, erfüllt von mächtigem Leben,
seine grossartige, decorative Begabung, von der die Paläste Mantua's so
glänzend zeugen, mussten Rubens anziehen, zugleich aber auch seine
Stoffe, die mythologischen Bilder, mit denen er das Residenzschloss und
den Palazzo del Te so glänzend geschmückt hatte.
Die Stoffe der antiken Geschichte, noch mehr der Mythe, und häufig
untrennbar mit ihnen verbunden die der Allegorie, waren für die italienische
Kunst seit dem 15. Jahrhundert von der grössten Bedeutung; in ihnen be-
sassen die Maler und Plastiker ein Gebiet, das ausserhalb der kirchlichen Kunst
lag, in dem sie rein ihrem künstlerischen Interesse, dem Zuge ihrer Phan-
tasie folgen, eine eigene poetische Welt träumen und sich schaffen konnten.
Den nordischen Künstlern entging jener Vorzug, als sie die italienische
Kunst kennen lernten, keineswegs; um einen lebensgrossen Act malen
zu können, wählt Dürer schon im Jahre I 500 den Herkules, und die
starke Zunahme mythologischer und allegorischer Vorwürfe in der folgenden
Zeit ist keineswegs eine rein äusserliche Mode, ein Zeichen der Verirrung,
Riehl, Kunstcharakterc. I5