Rubens. 22 3
Peter Paul
Nach drei Seiten besonders lernt Rubens während seines italienischen
Aufenthaltes, nämlich koloristisch, formal und inhaltlich; er erreichte da-
mit das Ziel, das die Akademiker erstrebten; aber noch mehr, es gelang
ihm, was jene nicht zu ahnen vermochten, eine völlig neue Kunst zu
schaffen, die dem so sehr verschiedenen Charakter seiner Zeit und seines
Landes einen ebenso grossen und charakteristischen Ausdruck geben sollte,
wie ihn vor hundert Jahren das italienische Leben durch seine grössten
Künstler gefunden
In erster Linie zog Venedig den grössten Koloristen des Nordens an,
als die poesievollste und malerischste Stadt des Landes, als die Stadt der
grosscn Koloristen. Das eigentlich koloristische Empfinden, die freie Mal-
weise grossen Stils hatten die Venezianer namentlich durch Tizian unver-
gleichlich entwickelt. Rubens lernte von ihnen; aber um ein völlig eigen-
artiges Ziel zu verfolgen, denn sein Kolorit mit dem hellen, sonnigen
Lichte, in dem die Farben in voller Kraft gegen einander leuchten, besitzt
als ein unvergleichlicher Ausdruck von Lebensfülle und Lebenskraft
wesentlich andere Reize, als das tief leuchtende, prachtvolle Kolorit
Tizian's, das eine innerliche Leidenschaft durchzuckt; ähnlich wie ja auch
das Carnat, das so oft den Grundton der Gemälde beider bestimmt, in
Folge des vlämischen und italienischen Bodens in seinen hellen Tönen bei
Rubens so sehr verschieden von dem zartbräunlichen Tizian's, wie die
Rubenäschen Körperformen in ihrer weichen Fülle von den schlanken,
maassvolleren Gestalten Tiziaifs.
Während des italienischen Aufenthaltes, ja auch noch in der ersten
Zeit nach seiner Rückkehr in die Heimath spricht sich die Rubens'sche
Eigenart natürlich noch nicht so scharf aus, wie später; er steht eben erst
am Beginne seiner selbständigen Entwicklung, und deshalb finden
sich da und dort noch Spuren, die erkennen lassen, von wem er
gelernt. Der Einfluss Tizians, nach dem er so eifrig kopirte, von dem
er auch eine Reihe von Originalen mit nach Antwerpen nahm, steht in
erster Linie; aber auch Correggio kopirte er, und das Hochaltarbild der
Beschneidung Christi, das Rubens für St. Ambrogio in Genua malte, zeigt
deutliche Anklänge an den Meister von Parma. Besonders scheinen
Rubens aber auch die späteren Koloristen, namentlich Veronese und Tin-
toretto, gefesselt zu haben; sie standen ihm eben durch die Fortschritte
der Kunst des späteren I6. Jahrhunderts nahe, und offenbar machten
Tintoretto's mächtige Gemälde in der Scuola di S. Rocco einen nachhaltigen
Eindruck auf Rubens; hat man doch mit Recht darauf hingewiesen, dass
sich derselbe noch in der 1610 gemalten Kreuzerhöhung geltend macht,
ähnlich wie der von Daniel da Volterras grossartiger Kreuzabnahme in
S. Trinita ai monti in Rom in Rubens 1611 gemalter Kreuzabnahme.
Gerade das vergleichende Studium solcher Werke aber zeigt, wie frei