Deutsche und italienische Kunst.
eine so grosse Wirkung erzielt, aber die Fülle der Gedanken, der Reich-
thum der Phantasie jener deutschen Bilder weisen darauf hin, wie die
Deutschen durch jene Eigenschaften die Kunst bereichern und neben dem
Historienbild Landschaft, Genre und Stillleben entwickeln sollten, durch
sie haben diese Gattungen ihre bedeutendste Entwicklung gefunden und
wurden zu dem, was sie uns heute sind.
Ein grosser, freier Zug tritt uns charakteristisch in der italienischen
Landschaft, der Stadt, dem Palaste, ja auch so häufig in Haltung und
Gebärde des einzelnen Menschen entgegen; die Ausbildung dieses durch
das Land bedingten Charakters förderte in der Kunst vor Allem noch der
Umstand, dass die christliche Kunst Italiens direkter als die des Nordens
sich an die Antike und zwar an die der weltbeherrschenden Roma selbst
anlehnte. Allein schon die grossräumige Disposition der altchristlichen
Basiliken und folgend dann auch der mittelalterlichen, weist bedeutsam
genug auf diese Thatsache und deren Folgen hin, und in der weiteren
Geschichte der italienischen Kunst möchte ich nur noch an die eine
Thatsache erinnern, welch massgebender Faktor für die Steigerung von
der Frührenaissance zur Hochrenaissance die Verlegung des Kunstcentrums
aus Florenz nach Rom mit seinen gewaltigen Ruinen gewesen. Das
Grosse, die einfach edle und schöne Form, der eigentlich monumentale
Stil, ein feierlich repräsentatives Wesen, das auch noch aus den kleinsten
Madonnenbildern spricht, wurden so das eigenste Gut der italienischen
Kunst. Im schärfsten Gegensatze hierzu steht die deutsche. Vom Be-
ginn ihrer selbständigen Entwicklung geht sie mühsam ihren eigenen
Weg, mit liebevoller Hingabe sucht sie die meist bescheidenen Aufgaben,
die ihr zufallen, zu lösen; ein gewisses kleinliches Wesen ist ihr dadurch
eigen und zeigt sich selbst bei ihren grössten Werken, wie den gothischen
Domen; die Vollendung der Form, die freie Schönheit ist nicht ihre
Stärke, ihr Aeusseres ist vielmehr oft genug unbeholfen und eckig, das
Schöne erreicht sie nur selten, meist nur das Anmuthige und Liebliche,
ihre eigensten Vorzüge liegen nicht aussen, sondern tief innen, gar oft
dem Auge des flüchtigen Beobachters verborgen. Der Italiener geht in
seiner Kunst aus sich heraus, sie tritt uns frei entgegen, in den Momenten
poetischer, weihevoller Stimmung übt sie ihre höchste Macht, ihre er-
greifendste- Wirkung; der Deutsche dagegen zieht sich zurück in seiner
Kunst, liebevolles Eingehen auf sie, langer Umgang mit ihr wie mit einem
trauten Freunde vermag allein ihre intimen Reize zu erschliessen. Das
innige Gemüth schlicht, wahr ausgesprochen, das scharfe Beobachten auch
der kleinsten Züge und dadurch die Meisterschaft der Charakteristik be-
stimmen sie, ihr Charakter ist ernst, manchmal still träumerisch; daneben
aber erheitert sie auch durch den frischsten Humor, ihr grösster Besitz