Michelangelo
Buonarroti.
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erreicht, dass uns die Gequälten aus Charon's Nachen gerade entgegen-
springen. Aber diese Effekte haben durch den traurigen Zustand des
Bildes viel an Wirkung eingebüsst; die ganze Gruppe erscheint in der
richtigen Entfernung gesehen, als ein schwarzer Klumpen, und nur mehr
beim Detailstudium vermag man noch die diabolische Lust der Teufel
zu erkennen, die angstgequälten Gesichter der Verdammten, deren Augen
herausquellen, deren Mund sich zum gellenden Schrei öffnet.
Das jüngste Gericht ist das letzte Werk, in dem Michelangelo seinen
Charakter voll und ganz ausgesprochen; es ist nicht das seiner Werke,
das uns künstlerisch am meisten befriedigt, aber die Leidenschaft Michel-
angel0's, sein gewaltiger Schmerz, sein gigantisches YVesen gewinnen
hier den mächtigsten Ausdruck es ist sein gewaltigstes Werk. Das
Schöne, das Versöhnende scheint ausgeschlossen, aber gewiss hat auch
diese grosse Aussprache unserer mächtigsten Leidenschaften nicht minder
ein Recht der Existenz in der Kunst wie die Schönheit. Dass sich
Michelangelds Charakter einseitig und schroff in seinem Alter entwickelte,
ist natürlich; einsam arbeitete er in seinem Grame weiter; auch der ein-
zige, glückliche Stern, der ihm geleuchtet, Vittoria Colonna, mit der er
gerade, als er am jüngsten Gericht malte, so rege verkehrte, verliess ihn
jetzt. Es scheint der Tragödie, als die uns Michelangelds Leben in seiner
Kunst erscheint, der versöhnende Schluss zu fehlen; er hat in der That
wohl bis zum Ende seines Lebens Ruhe und Friede nicht in sich gefunden,
und doch liegt etwas Versöhnendes in Michelangelds Kunst, ein grosses,
ethisches Moment, das gerade in den schmerzvollen Stunden des
Lebens, die uns am meisten zu seiner Kunst führen, mächtig erheben
kann; die ganze Auffassung, besonders auch die Seligen des jüngsten Ge-
richtes weisen darauf hin, es ist die absolute Grösse seiner Leidenschaft
und seines Kampfes, das Hohe und Gewaltige, frei von allem Kleinlichen
und Niedrigen, das Edle seines Charakters.
Das absolut Grosse und Mächtige ist es denn auch, was Michelangelds
Architektur charakterisirt, der er am Schlusse seines Lebens seine Haupt-
thätigkeit zuwendete; darin, wie er sich diesem Gebiet, nachdem er bereits
die Siebzig überschritten, mit ganzer Kraft zuwendet und nun auch hier
der weiteren Entwicklung die Wege zeigt, liegt wieder etwas völlig Un-
vergleichliches. Michelangelo war allerdings schon früher bedeutsam als
Architekt thatig, vor Allem durch den Entwurf der Fagade von S. Lorenzo,
durch die Bauten an der Bibliothek und der Grabkapelle der Medici, und
schon diese Bauten sind in hohem Grade charakteristisch für die Ziele,
die er verfolgte, zumal für sein Streben, die Skulptur mit der Architektur
zu verknüpfen, wie er ja bei der F agade von S. Lorenzo die Verbindung
der beiden Stockwerke durch Statuen herstellen und sie ausserdem noch
reich mit Reliefs decoriren wollte, so dass das Ganze bei der Wirkungs-