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Buonarroti.
Michelangelo
zehnt nach der Vollendung der Statue gedichtet 1); was sie aussprechen,
sagt uns mithin nicht, was Michelangelo veranlasste, die Nacht so
darzustellen, wohl aber, welche Stimmung er in derselben ausgesprochen
glaubte.
Dass der Schmerz über die traurige, politische Lage von Florenz
Michelangelo zu der Zeit, als er an den Grabmälern der Medici arbeitete,
auf das Tiefste erschütterte, ist gewiss und ebenso, dass dadurch der
schmerzvolle Zug, der durch das Werk geht, gesteigert werden musste; dass
es diese Verhältnisse aber nicht waren, welche die Stimmung des Ganzen
bedingten, hat Springer schon durch äusserliche Gründe mit der Entstehung
der Entwürfe bewiesen. Dieser schmerzliche Zug findet sich ja auch keines-
wegs blos hier, sondern geht durch die ganze Kunst Michelangelds. Die
Darstellung glücklicher und froher Menschen liegt ihm fern; ein tief ernster
Zug, ein schweres, inneres Ringen spricht schon aus den Werken des
Sechzehnjährigen; wie mächtig wächst es bis zur sixtinischen Decke; die
Mediceergräber zeigen dem gegenüber nur eine weitere Steigerung, wie
dann ferner das jüngste Gericht. Man hat diesen schmerzlichen Zug, der
den Charakter Michelangelds so sehr bestimmt, durch die äusseren Ver-
hältnisse seines Lebens begründen wollen, ich glaube mit Unrecht; auch
sie haben ja sicher auf die Ausbildung seines eigenartigen, schroffen
Charakters eingewirkt, aber der massgebende Grund, dass er sich so
entfaltete, sind sie wohl nicht gewesen. Michelangelo hatte mit manchen
Widerwärtigkeiten des Lebens zu kämpfen, manche bittere Erfahrung
gemacht, aber wem bliebe dies erspart? Dagegen erhielt er die künst-
lerischen Aufträge, die es ihm ermöglichten, seine Kraft zu entfalten, was
bei den grossen Forderungen, die diese stellte, keine geringe Gunst des
Schicksals war; er erhielt an Ehren und Auszeichnungen, was nur mög-
lich; er wurde, nach Raphaels Tod ohne Nebenbuhler, unbedingt als der
grösste Künstler anerkannt, man nannte ihn den „göttlichen Michelangelo".
Aber, was das Leben ihm auch bot, er vermochte nicht, es zu geniessen;
sein Charakter machte es ihm unmöglich; die Macht der Leidenschaft,
das schwere, innere Ringen, durch das er nicht zum Frieden gelangte,
sondern das nur gewaltiger, unversöhnlicher wurde, sich mächtig steigerte
bis zum Schlusse seines Lebens, es war sein grösstes Unglück; in ihm
gründet aber andererseits auch zu einem grossen Theil die eigenartige
Grösse Michelangelds. Nicht in äusseren Verhältnissen ist der Grund
jenes Schmerzes des Michelangelo zu suchen, sondern es ist jener Schmerz
und jene Qual, die tief im Innern sitzen, welche die äussern Verhältnisse
nur nähren und bestärken; es ist jener tiefste, innere Schmerz, von dem
man nicht spricht, namentlich nicht eine Natur wie Michelangelo, der
sPringer;
und
Raphael
Michelangelo.
Auflage
250.