Buonarroti.
Michelangelo
135
endete Kopf, die gigantische Gestalt, vor Allem auch die Gewalt der
Bewegung sagen, wie auch das düstere Sinnen den thatkräftigen Mann
zur Arbeit führt; das Gewaltige in Michelangelds Natur spricht aus dieser
Statue, die Stimmung, in der er diese Grabmäler, in der er das jüngste
Gericht geschaffen. Auf das schwere Ringen des Tages folgt der Abend,
ein düsterer Träumer über das Vergängliche und Nichtige des Daseins.
Die Nacht ist nicht das Sinnbild des milden, süssen Schlafes, der
erquickenden Ruhe, sondern eine ernste Frau, eine der vollendetsten
Gestaltungen des hehren, weiblichen Ideals Michelangelds von ungeheuer
tiefer, poetischer Empündung. Nur zu kurzem Schlummer ist sie ein-
genickt, ein durch die schmerzliche Sehnsucht, die sie erfüllt, hervor-
gerufener Traum beglückt sie aber nur kurze Zeit, dann wird sie er-
wachen zu neuem Leid und neuen Schmerzen, wie wir das in der
Aurora sahen.
In den grossen Gestalten der sixtinischen Decke hatte Michelangelo
die Natur mächtig gesteigert, in den Tageszeiten der Gräber der Medici
schafft er andere, mächtigere Menschen, denen höhere Kräfte innewohnen,
als den gewöhnlichen Erdenbürgern, die ihm zu klein und schwächlich
waren, seine gewaltigen Gefühle auszusprechen. Michelangelo giebt den
Figuren des Tages und der Nacht Stellungen, welche in der Natur nicht
vorkommen; nur mit Gewalt kann man auf einen Moment einen Menschen
annähernd in die Lage des Tages bringen; die Stellung der Nacht ist
uns unmöglich, und doch erscheinen uns vor dem Werke diese Stellungen
natürlich, und wenn wir an die Unmöglichkeit, sie nachzumachen, denken,
so sagen wir uns sofort, gäbe es solche Menschen, so könnten sie sich
auch so bewegen. Michelangelo ist hier gelungen, was kein anderer
Künstler vermochte, die Welt seiner Ideale, die grösser und gewaltiger
als die unsrige ist, so darzustellen, dass sie wahr erscheint, dass wir an
sie glauben. Nicht um des Motives willen hat, wie man glaubte, der
Künstler diese gewaltsam bewegten Figuren geschaffen, sondern diese
Motive sind bedingt durch das mächtige Wesen der Gestalten, das
Gigantische des Tages gelangt durch diese Bewegung zum Ausdruck;
sie sind bedingt durch die Stimmung, die sie beherrscht; hätte er der
Nacht die ruhig rliessende Haltung der Schlafenden gegeben, es wäre nicht
die Nacht des Michelangelo, in der nur kurzer Schlummer das qualvolle
Dasein unterbricht, glücklich nur durch die Vorspiegelung eines Traumes,
den schmerzliche Sehnsucht erzeugt.
Dass Michelangelo in der Nacht wirklich diese Empfindungen aus-
sprechen wollte, geht unzweifelhaft aus einem Sonett hervor, in dem er
sie sagen lässt: „Nichts sehen, nichts hören ist mein ganzes Glück; drum
wecke mich nicht, sprich leise." Das Sonett nimmt Bezug auf den
Untergang der Freiheit von Florenz; die Verse sind erst etwa ein Jahr-