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Michelangelo Buonarroti.
verbauen, ist natürlich, ebenso leicht begreiflich, dass, wenn er ein Werk
unterbrochen, er unter anderen Umständen nicht leicht zu demselben
zurückkehren wollte, um so mehr, als ihm stets eine ganze Fülle von
Arbeiten vorlag,
Die Grabkapelle der Medici, die Vasari 1563 in der Weise, wie wir
sie heute sehen, aufstellte, ist nur ein Bruchstück dessen, was Michel-
angelo geplant hatte; aber dennoch übt die grosse, einheitliche und ruhige
Architektur, das herrliche Licht, vor Allem aber die mächtigen Skulpturen,
eine so erschütternde Wirkung aus, wie nicht leicht ein zweites Werk
moderner Kunst; alle schweren Stunden, all die heftigen Kämpfe des
Lebens, die wir durchgerungen haben, werden hier wie mit einem Schlage
in uns wieder wachgerufen.
Der Ausdruck einer gewaltigen Empfindung ist es, den Michelangelo
in den Skulpturen der Grabmäler der Medici gab, und zwar der des
Schmerzes in einer Grabkapelle bedarf er wohl keiner Rechtfertigung.
In diesem Ausgehen von dem Empfmdungsleben, der Stimmung zumal
mit dem leidenschaftlichen, inneren Ringen, das Michelangelo hier charak-
terisirt, gründet es, dass er mit diesem Werke in so scharfen Gegensatz
zu dem Ideal treten musste, dessen höchste Realisirung uns die antike
Plastik bietet, in ihm, das einen Hauptzug der Entwicklung der modernen
Kunst bildet, aber auch, dass er als ein Höhepunkt dieser gleichberechtigt
neben jene tritt.
In den vier Gestalten der Tageszeiten, die auf den beiden Sarko-
phagen liegen, ohne Zweifel dem Bedeutendsten des ganzen Werkes, schafft
Michelangelo ganz ohne Vorgänger, ja sogar ohne jede Spur von An-
regung älterer Kunstwerke aus seinem innersten Empfinden eine völlig
neue WVelt; welche Kluft liegt doch zwischen seiner Aurora und der
gewohnten Vorstellung des heiter erwachenden Morgens, zwischen seinem
Abend und der friedlich seelenvollen Stimmung, die sonst die Kunst mit
dieser Tageszeit verknüpft; alle diese Gestalten Michelangelds beherrscht
die gleiche schmerzliche, drückende Stimmung, die nur verschiedenen Aus-
druck gewinnt durch den Wechsel der Tageszeiten.
Aurora, ein mächtiges Weib, herrlich in dem Fluss der Bewegung, wie
sie sich dehnt in schmerzvollem Erwachen zu einem Tag voll neuen Leides;
kurzer Schlaf hat sie mit dem Vergessen des Daseins getröstet; er ist
vorüber, der neue Tag beginnt und mit ihm das neue, bewusste Leid;
das Schmerzerfüllte, das Michelangelo so oft zeigt, spricht ergreifend aus
diesem gramdurchfurchten Antlitz.
Der Tag, eine herkulische Gestalt, nicht so schön und natürlich
bewegt wie die Aurora, sondern gewaltsam im Motiv, gerade dadurch
aber erst recht mächtig. In düstere Gedanken verloren, liegt er da, aber
der durch eine starke Wendung frei herausblickende, leider nicht voll-