Michelangelo Buonan-oti.
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letzten Gipfel erklettert, der auch in Kurzem unter der Fluth verschwinden
muss; wie erschütternd wirkt hier das Weib mit den Kindern, das durch
den Schrecken und die Angst die Kraft des Geistes verloren und blöd-
sinnig vor sich hinstiert; der Vater, der nichts rettet, als die Leiche des
theuren Sohnes, die er mühsam fortschleppt; das Weib, das im Vorder-
grunde auf dem Boden liegt, in dumpfer Verzweiflung gleichgültig gegen
Alles. Nur wenige Menschen sind es, die bis zu diesem Augenblicke dem
vernichtenden Elemente widerstanden, aber nur kurze Zeit, und auch sie
werden untergehen; im Kampfe gegen das furchtbare, entfesselte Element
bricht Streit aus unter den Unglücksgefährten, und in diesem Kampfe wird
das Schiff, ihre letzte Hoffnung, umschlagen und Alle sind verloren.
In der sixtinischen Decke spricht der Architekt Michelangelo mit
durch die Gliederung des Raumes, der Plastiker durch die Gestaltung der
Figuren; in der Grabkapelle der Medici aber, dem nächsten Hauptwerke,
wollte Michelangelo das ganze Denkmal allein schaffen, den Raum selbst
bauen, ihn selbst mit dem reichen plastischen und malerischen Schmuck
versehen, um so ein völlig einheitliches Kunstwerk zu erreichen, der Ge-
danke allein schon ist Zeugniss der unvergleichlichen Grösse Michelangelds.
Das Werk wurde nicht in dem Sinne vollendet, wie es Michelangelo erdacht;
es theilt das Geschick mit anderen Hauptwerken des Künstlers: es liegt
darin etwas Tragisches, und den greisen Michelangelo mag es oft gegrämt
haben, dass seine herrlichsten Gedanken, wie hier und beim Julius-Denkmale,
doch nur in so verstümmelter Form ausgeführt werden konnten; anderer-
seits aber zeigt sich doch gerade dadurch eigenartig das Gewaltige Michel-
angelo's; seine riesigen Pläne gingen eben über das Mögliche hinaus, sie
kannten keine Rücksicht auf die menschliche Kraft, auf die nöthigen Mittel.
Aber nicht nur das Ganze blieb unvollendet, sondern auch von den vier
herrlichen Gestalten der Tageszeiten, an denen der Meister offenbar mit
ganz besonderer Hingebung thätig war, wurde keine ganz vollendet; im
Jahre 1527 liess er das Werk liegen, um es nie wieder aufzugreifen. Wie
wir es bedauern, dass seine grössten Entwürfe nicht vollendet wurden,
andererseits aber gerade dadurch das Uebergewaltige seiner Pläne uns
schlagend entgegentritt, so berührt es auch schmerzlich bei diesen einzelnen
Figuren, dass sie nicht vollendet wurden, um so mehr, als gerade in ihnen
Michelangelo sein Innerstes offenbart; aber doch zieht uns das Unvoll-
endete andererseits wieder mächtig an, weil es nicht eine zufällige That-
Sache, sondern tief in dem Wesen des Künstlers, in seiner Art zu schaffen,
begründet ist. In Folge seiner leidenschaftlichen Natur arbeitete Michel-
angelo wesentlich aus der momentanen Stimmung; nachdem er in einem
kleinen Thon- oder Wachsmodell für seine Gedanken eine feste Form
gewonnen, ging er rasch an das Werk und arbeitete, ganz in dieses ver-
tieft, mit geradezu fabelhafter Energie, wie dies ja mehrfach ausführlich
berichtet wird; dass er sich deshalb bei den Marmorskulpturen wiederholt