Michelangelo Buonarroti.
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Gesicht; in weltvergessenes Grübeln ist die persische versunken; die libysche
Sibylle aber ist von einer Grösse und Reinheit der Form, von einer Frei-
heit und Schönheit der Bewegung, die nur etwa die Eva auf dem Bilde
der Schöpfung und Verführung oder die Aurora auf den Grabmälern der
Medici wieder erreichen.
Gleich leidenschaftliche, mächtige Charaktere in den verschiedensten
Stimmungen zeigen die Propheten; so beseelt Daniel das Feuer jugend-
licher Begeisterung, aber gepaart mit tiefem Ernste; Ezechiel scheint in
düsteres Brüten verloren, Jeremias von tiefer Melancholie ergriffen. Die
ganze Macht leidenschaftlicher, meist düsterer Stimmung, die schweren
Kämpfe, die in seinem Innern tobten, hat Michelangelo in diesen Gestalten
ausgesprochen, die völlig naturwahr, aber grösser und mächtiger als die
Menschen dieser Erde sind.
Das Aufgreifen des Höhepunktes der Situation, das Festhalten des
erregtesten Momentes, das schon den David so eigenartig charakterisirt,
das noch mächtiger in den Propheten und Sibyllen wirkt, bestimmt
auch die Auffassung der historischen Bilder der Decke, vor Allem der
Schöpfung. Michelangelo erscheint hier ganz ohne Vorgänger; mit elemen-
tarer Gewalt gestaltet er diese Vorgänge zum ersten Male. Aeltere Bilder
greifen zu einer symbolischen Darstellung der Schöpfung oder zeigen die
Schöpfung vollendet und Gott Vater, wie er das wohlgelungene Werk
betrachtet, Michelangelo aber stellt die That der Schöpfung selbst dar.
Gott Vater, den er mächtig und gross, wie kein Anderer, erfasst, theilt
mit wuchtigen Armen Licht und Dunkel, die That des ersten Tages, x65
werde LiChtx, vermochte keines Künstlers Phantasie vor ihm zum Bilde
zu gestalten; Sonne und Mond weist des Schöpfers Machtwort ihre
Stellung im Weltall, und rasch über den Erdball Hiegend, gebietet er
Wasser und Land, sich zu sondern, und über die Erde hinwegsausend,
befiehlt er ihr, Gras und Kräuter hervorzubringen; als er gegen Adam
heranschwebt, berührt er ihn nur mit dem Finger, da durchzuckt Leben
den Körper des Menschen.
Bis zur Erschaffung Adam's lässt sich wohl kein Werk namhaft
machen, das Michelangelo zu seiner Auffassung irgend welche wesentliche
Anregung bot; nur dass Gott Vater von Engeln umgeben über der Erde
schwebt, deren Entstehen er gebietet, findet sich auch auf Ghibertis Ost-
thüre des Baptisteriums in Florenz, die Michelangelo bekanntlich so hoch
schätzte. Wie völlig original die geistreiche Schöpfung Adam's und auch
die nachfolgende der Eva ist, wie vor Michelangelo Niemand etwas Aehn-
liches schaffen konnte, darüber braucht man kein Wort zu verlieren;
interessant aber ist, dass hier Michelangelo offenbar durch ein älteres
Kunstwerk Anregung erhielt, die er aber natürlich ganz frei verwerthete,
in seiner Weise weiterbildete und steigerte: ich meine die Reliefs der