Buonarroti.
Michelangelo
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den Kopf abgeschlagen; den linken F uss hat er noch auf den Hals des
Riesen gesetzt; der Körper zeigt das Nachlassen der Haltung, wie es nach
der äussersten Anstrengung des Kampfes eintreten muss; ernst, fast als
wäre er erschrocken über seine That, blickt der jugendliche Held nieder
auf das Haupt des Feindes. Michelangelo aber greift in seinem unver-
gleichlich mächtigen Iüngling den entscheidenden Moment des Kampfes
selbst auf. Gerade in dieser Wahl des Höhepunktes der Situation, in der
Wiedergabe des Momentes, in dem die Leidenschaft den ganzen Körper
durchzuckt, liegt einer der mächtigsten und eigenartigsten Züge Michel-
angelds, der tief in seiner leidenschaftlichen Natur begründet und sich
weiterhin bis zum jüngsten Gerichte mächtig steigert.
Anfang März 1505 zog Michelangelo auf den Ruf Julius II. Wieder
nach Rom. Rom mit seinen gewaltigen Ruinen, seiner mächtigen Ver-
gangenheit, dem ereignissvollen Leben am Hofe Julius II. musste die
Steigerung, die wir jetzt bei Michelangelo finden, bedeutsam fördern, vor
Allem aber konnte sich hier freier als bisher sein Genius entfalten in Folge
der grossartigen Aufgaben, die Julius II. ihm stellte. In Florenz war das
Grösste, was ihm zu schaffen vergönnt war, die Kolossalstatue des David,
in Rom aber erhielt er mit der Bestellung des Denkmals für Julius II.
den Auftrag zu einem in seiner Grossartigkeit ganz unvergleichlichen
Monument mit über fünfzig Statuen; allein schon der Gedanke an ein
solches Denkmal konnte nur in Michelangelo entstehen und deutet darauf,
wie er die Kunst in neue Bahnen lenkte. In Folge der Zerwürfnisse mit
dem Papste aber und der dadurch herbeigeführten Flucht Michelangelds
blieb das Werk liegen und kehrte der Künstler erst im April 1508 nach
Rom zurück. Michelangelo wollte nun an die Ausführung des Grabmales,
deren Verzögerung ihm schmerzlich genug gewesen sein mag; aber der
Papst stellte ihm jetzt eine andere, durch die Art, wie sie Michelangelo
auffasste und gestaltete, nicht minder grossartige Aufgabe, die Ausmalung
der Decke der sixtinischen Kapelle. Es ist bekannt, wie Michelangelo
an dieses Werk mit Widerstreben ging, dessen Ursache einerseits wohl
war, dass er das eben begonnene Denkmal, das seinen persönlichsten
Neigungen entsprach, liegen lassen musste, andererseits aber arbeitete er
auch überhaupt offenbar lieber als Plastiker, wie als Maler.
Wenn man von S. Pietro in vincoli in Rom, wo das Denkmal julius II.
steht, in der verkümmerten Ausführung, die ihm schliesslich zu Theil
wurde, das aber trotzdem eines der mächtigsten Kunstwerke, vor dem
man stets zu dem Gedanken geführt wird, wie unvergleichlich wäre dies
Werk geworden, wenn Michelangelo seinen ganzen Plan hätte vollenden
können, sich nach der sixtinischen Kapelle zum Studium der Decken-
fresken begiebt, so kommt man unwillkürlich zu dem Gedanken, dass der
Künstler hier Ersatz gesucht für die Lieblingsarbeit, die er abbrechen
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