Buonarroti.
Michelangelo
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dem Edlen und Hehren, tiefer Ernst, stille Grösse, später aber ein mäch-
tiges Empiinden beseelen seine weiblichen Wesen. Wir begreifen bei
diesen tief aus der Seele des Künstlers geschaffenen Gestalten, dass nur
eine Frau, wie Vittoria Colonna, ihn verstehen, auf ihn Einfluss gewinnen
und so ihn zu dem inneren Frieden zu führen vermochte, dessen er mehr
als Andere bedurfte; wir begreifen, wie er, dessen Wesen einem Mädchen
wohl kaum verständlich sein konnte, in der Liebe keine volle Realisirung
seiner Wünsche, keine wahre Befriedigung fand und wie sie ihm, was seine
Sonette ja wiederholt klagen, nur bitteres Leid statt Glück und Friede
brachte.
Eine gewisse innere Verwandtschaft mit seinem Madonnenideal zeigt
Michelangelds Christusstatue, von 1514-1521 gefertigt und in Sa. Maria
sopra Minerva in Rom aufgestellt. Christus, ein schöner, völlig nackter
Jüngling, hat den rechten Arm um das Kreuz geschlungen, die Linke, in
der er Rohr, Schwamm und Geissel hält, legt er an den Stamm des
Kreuzes; der Ausdruck ist ruhig, ernst; der Mund zeigt jenen fast trotzigen
Zug, der Michelangelds Köpfen so häufig eigen ist. Durch schöne, wess-
halb er die Gestalt auch ganz entkleidet, und edle Form will Michel-
angelo in diesem Christus das Göttliche aussprechen, nicht den milden,
noch weniger den leidenden Christus, will er darstellen; die Leidenswerk-
zeuge, die er hält, sind nur äusserliche Attribute.
Aus dem Streben nach völliger Beherrschung der menschlichen
Gestalt, das für Michelangelds Kunst die naturgemässe Grundlage bildete,
erklären sich wohl in erster Linie Arbeiten dieser Zeit, wie der Kupido
und der Bacchus; dass Michelangelo in diesem Streben durch die Antike
wesentlich gefördert wurde, ist klar; wie sehr er aber durchweg seine
volle Selbständigkeit wahrte, seine eigenen Ziele verfolgte, zeigt deutlich
genug der trunkene Bacchus (Florenz Museo nazionale), hinter dem der
mit Humor aufgefasste Satyr an der Traube nascht, der gewiss im
schärfsten Gegensatz zum Dionysos-Ideale steht.
Das bedeutendste Werk der Jugendzeit Michelangelds ist die 1499
vollendete, jetzt in St. Peter in Rom aufgestellte Pieta. Unzählige Male
stellte die christliche Kunst dar, wie Maria den Leichnam des eben ver-
schiedenen Sohnes betrauert, aber ich wüsste keinen Künstler, der eine
auch nur annähernd ähnliche Auffassung verträte, wie Michelangelo in
dieser herrlichen Gruppe. So grossartig, hehr und göttlich hat kein andrer
die Scene gedacht und doch zugleich, welch tiefes Empünden liegt in dem
schönen, schmerzdurchzuckten Körper Christi, in dem von tiefster Trauer
erfüllten Antlitz der Maria; aber es ist kein menschliches Leid, das sie
beherrscht, wie wenn Maria den letzten Kuss auf die Lippen des Sohnes
drückt, dessen Antlitz sie mit Thränen netzt, oder wenn sie über seinen
Tod in verzweifelnde Klage ausbricht; diese Maria ist nicht der mensch-
Riehl, Kunstcharaktere. I2