Buonarroti. I 7 5
Michelangelo
lenkte Bertoldo schon durch seine eigenen Arbeiten, wohl aber auch, in-
dem er ihn direkt auf die Werke seines grossen Lehrers hinwies, Michel-
angelo's Auge auf Donatello. Aus diesem Zusammenhange zunächst, viel-
leicht aus der direkten Anregung von Bertoldds feurigem Kampf der
nackten Männer, nicht aber aus dem Einfluss antiker Sarkophagskulpturen,
schöpfte Michelangelo die Anregung zu seinem Centaurenkampf.
Manche Anektoden erzählen, wie tief Donatellds Werke Michelangelo
ergriffen. Donatello war entschieden derjenige Vorgänger, zu welchem
sich Michelangelo am meisten hingezogen fühlen musste, von dem er am
meisten lernte; äusserlich zeigt dies die Gewandbehandlung, die bei den
frühesten Werken Michelangelds wiederholt deutlich an Donatello erinnert,
wie bei der Madonna auf der Treppe, auf deren Beziehung zu Donatello
ja schon Vasari in seiner anekdotenhaften Art hindeutet; weit höherer
XVerth aber ist auf die Anregung zu legen, die Donatellds mächtiger Ernst
bot, wie ihn sein Marcus an Or San Michele zeigt, seine scharfe Charak-
teristik, die das Hässliche, ja das Abstossende nicht meidet, sondern sucht,
wie sein asketischer Johannes der Täufer oder die Magdalena im Baptisterium
zu Florenz; nicht die schöne reuige Sünderin ist hier Magdalena, sondern
die Büsserin, die sich durch Jahre gemartert, ein hässliches, ausgehungertes,
altes Weib, dem das verwilderte Haar nothdürftig die Blösse deckt das
ganze Elend menschlicher Verzweiflung, menschlichen jammers ist in
dieser Gestalt zusammengefasst. Donatello bahnte damit schon jene
Richtung an, deren Ziel Michelangelds jüngstes Gericht ist. Vor Allem
aber musste die Macht der Leidenschaft Donatellds, wie sie auf der
Kreuzabnahme unter den Kanzelreliefs in S. Lorenzo völlig entfesselt ist,
Michelangelo als etwas Congeniales ergreifen. Nicht äusserlich, etwa in
der Form des Ohres, der Hände oder der F üsse darf man die Beziehungen
Michelangelds zu Donatello suchen. Michelangelo war eine so durch-
weg selbständige Natur, dass er schon in dem Centaurenkampf seine
eigene Formensprache besitzt; nur Einzelnes findet sich in den früheren
Werken, was so äusserlich auf die Beziehungen zu Donatello weist, die
Hauptsache aber liegt tief innen; Empfindung und Auffassung sind es,
welche die beiden Meister verbinden, die Anregung Donatellds auf Michel-
angelo begründen, verwerthet aber hat er sie von Anfang an ganz selbst-
ständig; waren doch seine Ziele noch höhere, sein Wesen noch grösser
und gewaltiger, als das seines Vorgängers.
Einen interessanten Gegensatz zu dem Centaurenrelief bietet die gleich-
zeitig entstandene Madonna auf der Treppe, jetzt gleichfalls in der casa
Buonarroti. Im Gegensatz zu jenem Bilde wilden Kampfes sehen wir hier
Michelangelds weibliches Ideal, mit dem er sich bis zur Zeit der Gemälde
an der sixtinischen Decke mit Vorliebe beschäftigt, während er später nur
selten zu derartigen Vorwürfen zurückgreift und sie dann, wie die Madonna