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Michelangelo Buonarroti.
Bereits in den beiden ersten Werken, die jetzt in der casa Buonarroti
in Florenz, die Michelangelo, etwa sechzehn Jahr alt (1491), schuf, zeigt
sich eine hohe Originalität und ist der Charakter des Meisters schon merk-
würdig scharf gekennzeichnet.
Mit der Centaurenschlacht, einem Marmorrelief, das gewaltige Ge-
stalten in furchtbarem Ringen um Leben und Tod ineinandergeschlungen
zeigt, beginnt der Jüngling, fast noch ein Knabe, seine künstlerische Lauf-
bahn. Das Studium der menschlichen Gestalt, das Michelangelo durch
sein ganzes Leben verfolgte, scheint ihn in erster Linie zu diesem Werke
angeregt zu haben; aber er beginnt es nicht damit, dass er eine einzelne
Gestalt in ruhiger Haltung sorgfältig zu bilden versucht, sondern schon
in seinem ersten selbständigen Werke strebt er die höchste Kraft-
äusserung des Menschen, die Macht seiner Leidenschaft darzustellen;
welche Leidenschaften müssen da schon in der Brust des noch so jugend-
lichen Künstlers gerungen haben.
Man hat wiederholt darauf hingewiesen, dass das Relief des Centauren-
kampfes eine nahe Beziehung zur Antike zeige, ja man suchte sogar nach
bestimmten Vorbildern unter den römischen Sarkophagreliefs. Ich kann
diese Ansicht nicht theilen, glaube vielmehr, dass das Werk schon in
voller Schärfe Michelangelds Eigenart ausspricht, die den Werken der
Antike, die ihm vorlagen, schroff gegenübersteht, und ein Relief römischer
Kunst, das Michelangelo zu diesem Werke die wesentliche Anregung bot,
wird sich nicht nachweisen lassen; wohl aber besitzen wir ein solches von
einem Vorgänger Michelangelds in dem Bronzerelief einer mythologischen
Schlacht, das seinem Lehrer Bertoldo zugeschrieben wird 1), das sich jetzt
im Museo nazionale in Florenz befindet. Die Unterschiede von Bertoldo's
und Michelangelds Relief werden jedem sofort klar entgegentreten; zu einem
guten Theil gründen sie darin, dass das Bertoldds aus Bronze, das Michel-
angelds aus Marmor ist; dann zeigt Bertoldo ein gewisses äusserliches
Prunken mit seinen oft nicht ganz verstandenen anatomischen Studien,
besonders in der Behandlung der Muskeln, es lässt sich an dem Relief ja über-
haupt gar manches Tadelnswerthe nachweisen, andererseits aber auch gewiss
nicht leugnen, dass es äusserst lebendig aufgefasst und hierdurch wie
durch {die Fülle einzelner packender, zuweilen sogar kühner Motive auf
den jungen Michelangelo höchst anregend wirken konnte. Bertoldo kam
in diese Richtung durch seinen Lehrer Donatello, dessen letztes NVerk, die
Kanzelreliefs für S. Lorenzo, die gerade die mächtig-leidenschaftliche
Natur des Künstlers am freiesten aussprechen, Bertoldo beendete. So
1) Ueber dieses Relief siehe Vasari Ed. Milanesi II. 423 u. Anm.; auch für den Fall, dass
man nicht Bertoldo als den Meister dieses Werkes anerkennen will, dürfte der Zusammen-
hang des Ceutaurenkampfes mit der älteren Florentiner Kunst seine Gültigkeit behalten.