Giovanni Bellini. 169
Seite des Mannes mehr ansprechen, mag Jeder in seiner Weise den
Meister auffassen, es mögen Viele Recht haben, denn es steckt gar viel
in einem grossen Künstler.
Indem ich wieder in die schöne Stimmungslandschaft blickte, dachte
ich, es ist doch eigen, hier Bellini zu studiren, wo es zu seinen Zeiten
ganz anders aussah als heute. Die Züge des Verfalls, die jetzt Venedig
und Murano so scharf charakterisiren, waren damals in der Glanzzeit
Venedigs noch nicht, die fundamenta selbst sind erst eine spätere Anlage,
der cimeterio, der in diesem Bilde so wesentlich mitspricht, erhielt diese
Fagade erst im I9. Jahrhunderts und doch kann man hier die An-
regungen studiren, die Bellini von der ewigen Lehrmeisterin der Kunst, von
der Natur, empfangen; die duftigen Fernen mit den schneebekrönten Alpen,
vor Allem aber das herrliche Abendlicht, das über die Lagunen glitzert,
sie sind heute noch dieselben wie zu Bellini's Tagen, wie auch das Fühlen
des menschlichen Herzens, das diese herrliche Stimmung durchzittert, heute
noch dasselbe ist. Das Nebensächliche und Kleine hat sich verändert
und ist vergessen, das Grosse und Bedeutende aber blieb. Was Bellini
durchgerungen, bis er als Greis, als bewusstes Ideal das Glück darstellte,
das die Jugend unbewusst geniesst, die schweren, inneren Kämpfe, die
gerade eine so gernüthvolle Natur tief erschüttern mussten und an die
uns oft ein Zug leiser Wehmuth, stiller Sehnsucht in seinen Bildern
mahnt, die ihn aber nicht verbitterten, sondern gegen das Ende seines
Lebens jenes edle Ziel seelenvollen Friedens erreichen liessen, wir kennen
sie nicht. Die Zeit hat diese einzelnen Züge verwischt; geblieben ist uns
nur das Ziel, eben jener reine Seelenfriede, den seine vollendetsten,
spätesten Werke am klarsten aussprechen. Das Aeusserliche, in gewissem
Sinne Nebensächliche, ist auch hier vergessen; erhalten aber blieb des
Künstlers grösstes und eigenstes Gut, das uns dadurch nur um so klarer
und harmonischer entgegentritt, sein edles, tief gemüthvolles Wesen, und
eben darin liegt die Gerechtigkeit und Wahrheit der Geschichte.