Volltext: Deutsche und italienische Kunstcharaktere

Giovanni 
Bellini. 
zu ziehen oder Venus, die Herrscherin der Welt, umspielen; gerade dieses 
träumerisch stimmungsvolle Bild ist bezeichnend für Bellini. Das Schiff, 
auf dem Venus sitzt," zieht leise durch die Wellen, auf ihrem linken" Knie 
ruht die Weltkugel, auf die sie ihre Rechte legt, während vorne die Kugel 
durch einen kleinen Knaben gehalten wird, vor dem an der Spitze des 
Schiffes ein anderer Knabe steht, der die Doppelüöte bläst. Die höchst 
lebendig bewegten, anmuthigen Kinder, von denen sich eines schlafend 
in den Schooss der Venus schmiegt, während ein anderes, aus dem NVasser 
auftauchend, zu ihr emporklettert, ein drittes aber, auf dem Rücken 
liegend, lustig in dem Wasser strampelt, lassen erkennen, wie fein und 
liebevoll er die Kinder beobachtete; und der kleine Schläfer im Schoosse 
der Venus, zu dem sie freundlich herabsieht, zeigt ebenso wie Bellinfs 
Christusknaben, wie der gemüthvollste aller italienischen Maler auch 
schon bei dieser kleinen Welt das Gefühlsleben tief empfand. 
Im Jahre I 5I 5 malte Bellini, etwa siebenundachtzig Jahre alt, das letzte 
Bild, das wir von seiner Hand besitzen, die Venus in der kaiserlichen 
Galerie zu Wien. Es ist ein nacktes, junges Mädchen, das nur ein Tuch 
umgelegt hat und eben, um seine Haare in ein Netz zu ordnen, sinnend in 
den Spiegel schaut, links sehen wir durch ein Fenster in eine ober- 
italienische Landschaft. Die Freude an den schönen, jugendlichen Formen 
hat sich der Meister bewahrt bis zum Schlusse seines langen, thatenreichen 
Lebens, ebenso wie die Wärme jugendlicher Empfindung. 
An einem schönen Aprilabend sass ich wieder an jenem stillen Platze 
an der Ecke der fundamenta nuove und der sacca della misericordia, 
sah hinaus in die prächtige Stimmungslandschaft und dachte an Giovanni 
Bellini, mit dessen Werken ich mich den Tag über beschäftigt hatte, 
dessen künstlerisches Empfinden mir vor wenig Jahren durch einen 
schönen Frühlingsabend an eben dieser Stelle zum ersten Male klar ge- 
worden, mit dessen Werken ich seitdem einen vertrauten Umgang gepflogen. 
Ich dachte daran, wie verschieden wir in verschiedenen Lebenslagen 
gerade einen Künstler beurtheilen, dessen Werke uns zum Herzen sprechen. 
Liegt nicht viel Persönliches in einer solchen Auffassung, musste ich mich 
fragen; und wird nicht, je feiner wir hier fühlen, desto mehr jeder zu 
einer anderen Auffassung gelangen müssen; gewiss, eine objektive Wahr- 
heit kann hier nicht erreicht werden, aber doch scheint mir diese Auf- 
fassung am wahrsten und tiefsten in das Wesen des Künstlers einzuführen; 
aus rein persönlicher Stimmung, aus tiefstem Herzen schafft er seine Werke, 
aus ihnen allein können wir verstehen und nachempfinden, was er sagen 
Wollte. Mag zu verschiedenen Zeiten uns bald die eine, bald die andere
	        
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