Giovanni Bellini.
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Zu dieser glänzenden Erscheinung Tizians steht die bescheidene des
Mannes, der ihm die Bahn geebnet, Giovanni Bellini's, in einem entschie-
denen Gegensatz. Für ihn ist gerade charakteristisch, dass man ihn nur
in Venedig, da aber auch ganz studiren kann, und dass die Bilder, die
von dort nach auswärts, namentlich nach London, gebracht wurden, da-
durch aus dem Zusammenhang gerissen, ihrer richtigen Umgebung beraubt
erscheinen. Nicht minder als Tizian's Kunst gründet auch die Be1lini's in
dem künstlerischen Charakter der Lagunenstadt, aber es ist eine andere,
zwar minder glänzende, aber nicht minder anziehende und poetische Seite
desselben, welche die Anregung zu seinem künstlerischen Schaffen bot.
Wir verlassen die piazza mit ihrem reichen Leben und schlendern
durch die engen Gassen und Gässchen an S. Maria formosa und S. Gio-
vanni e Paolo vorüber nach der entgegengesetzten Nordseite der Insel. Es
ist ein stiller Weg, aber voll der feinsten malerischen und poetischen Reize;
die Sonne blickt so freundlich zwischen den engen Häusern durch, ihre
Strahlen spielen anmuthig über dem dunkeln Wasser der Kanäle, in denen
sich die Paläste spiegeln, mit ihrem verwitterten Untergeschoss und die
Pfähle vor denselben, die noch die Farbe der reichen Familie zeigen, die
einst hier wohnte; es ist ein Bild ehemaliger Pracht, zugleich aber auch
ein trauriges Bild des Verfalls, das mich oft an gewisse venezianische
Portraits erinnerte, welche man früher Giorgione zuschrieb, die einen
schönen, jungen Mann in reicher Tracht darstellen, von dem man erwarten
sollte, dass er recht glücklich sei; dessen ernste schwermuthvolle Züge aber
verrathen, dass tiefer Schmerz ihn bedrückt und dessen inneres Leid durch
den Gegensatz zu dem glänzenden Aeussern um so tiefer rührt.
Bei den fundamenta nuove gewinnen wir wieder den Ausblick auf
die Lagunen, wir gehen die fundamenta entlang bis zum westlichen Ende,
wo die sacca della misericordia angrenzt; an dem letzten kleinen Hause
springt ein Tragstein vor, auf den wir uns niedersetzen, um uns ganz der
poetischen Stimmung hinzugeben, die diesem Ort, besonders in den späten
Abendstunden eigen. Niemand stört an dem stillen Platze, höchstens
gehen ein paar arme Leute vorüber, die hier wohnen. Venedig übt da
noch ganz den Zauber einer verfallenen, vergessenen Stadt aus, besonders
wenn man aus dem Viertel jenseits der sacca della misericordia herüber-
kommt, wo in der ganz verarmten Gegend bei der interessanten Kirche
S. Maria nell orto eine Reihe einst schöner Paläste in traurigem Verfall
sich zeigen. Vor uns aber erhebt sich aus den Lagunen, von den letzten
Strahlen der untergehenden Sonne umflossen, der cimeterio, rechts davon
sehen wir in der Ferne Torcello mit seinem alten Dom, links vom cime-
terio das einst so bedeutende, jetzt aber, abgesehen von einigen Fabriken,
arme und stille Murano, den Horizont säumen die prächtigen Alpen mit
ihren schneeigen Häuptern; es ist eine weiche, aber unendlich friedliche