Haus.
144 Dürefs Kunst fürs
Im Gegensatze zu den dramatischen Vorwürfen, wo Dürer von den
mächtigsten Gegensätzen der Charaktere ausgeht, in den extremsten und
daher aufälligsten Stimmungen diese erfasst, zeigen die Blätter, als deren
hervorragendste Ritter, Tod und Teufel, der Hieronymus und die Melan-
cholie zu nennen sind, eine entschiedene Vereinfachung des Problems,
zugleich aber auch eine wesentliche Vertiefung. Nicht in grossen drama-
tischen Momenten, sondern im täglichen Leben, im still zurückgezogenen
Schaffen beobachten sie den Menschen und stellen ihn in charakteristischer
Umgebung dar, das Ganze so zu einem eigenartigen Stimmungsbilde ge-
staltend. Bei den Aposteln verzichtet Dürer auf diese Umgebung; nur
der Mann selbst, seine Gestalt, seine Züge allein sollen uns vor Allem
das Zwingende in der Erscheinung von Männern gewaltiger, geistiger
Thaten zeigen. Ein heftig auffahrendes Wesen ist noch den beiden ersten
Gestalten eigen"; leidenschaftlich erregt ist die Haltung von Thomas, und
tiefe Bewegung spricht aus dem Paulus, welcher das Schwert zu Boden
fallen liess und in die Schrift deutet, während er sich mit einem tief-
schmerzlichen Blick nach dem Beschauer wendet; es kann nur die Er-
zählung des Leidens Christi sein, auf das er hinweist, die ihn so tief
erschüttert. Ruhiger wird die Haltung bei Simon, dem müden, schwer-
geprüften Greise, bei Bartholomäus einer ernsten Erscheinung von würde-
vollem, ehrfurchtgebietendem Wesen, mit rollenden Augen, welche die
tiefe, aber beherrschte Leidenschaft des Mannes erkennen lassen. Den
reifsten und edelsten männlichen Charakter aber zeigt die letzte der Ge-
stalten, nämlich Philippus; feierlich schreitet er mit seinem Stabe in der
Linken, dem Evangelium in der Rechten dahin; stilles Dulden des Schweren,
das über ihn ergeht, hat er durch das Leben gelernt; tiefer Ernst cha-
rakterisirt den Kopf, zugleich aber auch ein entschieden milder Zug, der
sagt, wie der, welcher selbst viel Leid überstanden, theilnimmt an dem
Leide Anderer. Aeusserlich erinnert dieser Philippus an den Paulus in
dem Gemälde, und zwar nicht blos in der Drapirung, sondern auch in
Gesichtszügen, und doch wie wesentlich verschieden ist sein Charakter von
dem jenes gewaltigen Vertheidigers des Evangeliums mit dem Schwerte.
Gerade in den Werken, die Dürer in dem bescheidenen Gewande
des Kupferstiches und Holzschnittes für die Kunst des deutschen Hauses ge-
schaffen, spricht sich des Meisters mühevolles Ringen nach Vervollkommung,
der unvergleichliche Reichthum seiner Gedanken, die Tiefe seines Gemüthes,
zugleich aber auch das Schlichte und Treuherzige seiner Art am schönsten
und deutlichsten aus. Schon dadurch, weil sie leicht überallhin verbreitet
werden konnten, waren es in erster Linie diese Werke Dürer's, die den
Einfluss seiner Kunst weit über die Grenzen seiner nächsten Umgebung
trugen. Bekannt ist ja, wie besonders die oberdeutschen Maler und
Plastiker, denen es an Gedanken fehlte, diese gern bei Dürer zu leihen