Dürefs Kunst fürs Haus.
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Tiefe, gedankenvolle Charaktere zu zeichnen, aber nicht nur in den
höchsten Affekten, wie in dem Drama der Passion, sondern auch in ruhigeren
Situationen, deren individuelles Leben sich nur dem feinsten Beobachter
offenbart, das war das völlig neue, grossartige Problem, das Dürer offenbar
schon lange beschäftigte, das ihn aber seit etwa 1513 fast ausschliesslich
beherrschte; mit ihm steht Dürer's Thätigkeit im Portraitfache im innigsten
Zusammenhang, der wir im Kupferstiche sechs bedeutende Arbeiten aus
den Jahren 1519 bis 1526 danken; seinen grossartigsten Ausdruck aber
gewinnt es durch die Gemälde der vier Apostel von 1526, den feinsten
durch die herrlichen Kupferstiche, in denen er die feste Haltung des
durch die Kämpfe des Lebens gestählten Mannes, den Frieden des Ge-
lehrten in seiner stillen Studirstube zeigt, andererseits aber auch den
schweren inneren Kämpfen Ausdruck verliehen hat, welche diese mächtigen
Naturen durchringen mussten, um zu jenen Zielen zu gelangen. Gerade
mit diesem Probleme stand Dürer auf der Höhe der geistigen Interessen
seiner Zeit, verlieh er denselben den bedeutendsten Ausdruck. Indem er
in seinen Apostelgestalten und im innigsten Zusammenhang damit in
jenen eigenartigen Stimmungsbildern: dem Ritter, Tod und Teufel, dem
Hieronymus und der Melancholie das Ringen des menschlichen Geistes
nach Erkenntniss aussprach, das sich damals natürlich vor Allem
auf dem religiösen Gebiete bethätigte, hat er so gross und tief und zu-
gleich so echt künstlerisch wie kein Anderer den bedeutendsten Zug seiner
grossen Zeit künstlerisch gestaltet. Von dogmatisch-tendenziösen Dar-
stellungen, wie sie vor Allem Kranach vielfach schuf, die aber wie alle
Tendenzkunst von vorneherein etwas sehr Unkünstlerisches hatten, blieb
Dürer frei. Die so. vielfach in der widersprechendsten Weise behandelte
Frage, ob Dürer der protestantischen oder katholischen Seite zuzurechnen
sei, ist deshalb für die Beurtheilung des Künstlers von geringerem Belang
als man gewöhnlich glaubt, weil das, was er als Künstler aufgegriffen,
nicht wie bei Kranach der Zank der Parteien ist, sondern der grosse all-
gemein menschliche Gedanke des Ringens nach Erkenntniss, der ja auch
Dürer's forschende Natur so scharf charakterisirt und der unbedingt das
Grösste und Folgereichste im deutschen Geistesleben jener Zeit war.
Man hat zumal in neuester Zeit sich mehrfach bemüht, in den drei
herrlichen Blättern der Jahre 1513 und 1514, mit denen dieses Streben
Dürer's' in seiner ganzen Grösse und Tiefe auftritt, einen bestimmten
äusseren Zusammenhang nachzuweisen; äusserlich besteht ein solcher wohl
nicht, aber es liegt diesem Gedanken ein richtiges Gefühl zu Grunde; die
Blätter stehen in der That in einem innigen, bedeutungsvollen Zusammen-
hange dadurch, dass sie ihren gemeinsamen Ursprung in Dürer's psycholo-
gischen Studien besitzen. Diejstrenge, feste Haltung des ernsten Mannes, den
die Erfahrungen und Enttäuschungen des Lebens gefestet, tritt uns in dem