Haus.
fürs
Dürefs Kunst
135
krone, der uns ansieht mit einem Blick, aus dem die entsetzlichsten
Qualen und Leiden sprechen, dessen ganzes Wesen aber doch edel und
voll Hoheit, auch trotz der schmachvollen Verhöhnung, die er duldet
durch den Krieger, der vor ihm kniet und ihm spottend einen Prügel als
Scepter reicht; die Hände hat Christus zum Gebet gefaltet, er betet zu
dem Vater um Kraft, das Leiden ertragen zu können zur Erlösung der
Menschheit. Das Titelbild giebt den Schüssel zum Verständniss der
grossen Passion, indem es dazu führt, den leidenden Christus in ihr zu
studiren, ich erinnere für die hier unvergleichliche Grösse Dürer's nur an
die Gefangennahme Christi, wie er von den Schergen fortgerissen von
Judas den Verrätherkuss erhält, trotz alles Leides aber voll festen Ver-
trauens zum Himmel emporblickt, oder an Christus, wie er unter dem
Kreuze zusammenbricht und sich nach den klagenden Frauen wendet, oder
schliesslich an die leider theilvveise im Schnitt verdorbene Bestattung
Christi, wie die Leiche des Heilands, nachdem er alle Marter überstanden,
von seinen Freunden zur letzten Ruhe getragen wird.
Die grosse Passion, vor Allem die Gestalt Christi in derselben zeigt
den gewaltigen Fortschritt, der die zweite Periode DüreNs im Gegensatz
zur ersten in der Kunst des Hauses charakterisirt, nämlich den Gedanken,
den Menschen in seinem Innersten zu erfassen, die schwersten Seelen-
kämpfe, das tiefste Leid, aber auch das Edle und Hohe, die Macht eines
grossen Geistes zur Darstellung zu bringen; das war es auch, was Dürer
stets wieder zur Passion zurücktrieb, warum er sich in ihrer Darstellung
nie genug thun konnte, darin liegt auch seine grösste That, der Haupt-
moment seiner historischen Bedeutung. Die Herrschaft der Form bedurfte
er, um seine Gedanken und Empfindungen auszusprechen, und er hat
Grosses geleistet für die Entwicklung der nordischen Kunst durch seine
Förderung des Formverständnisses, Grösseres aber noch dadurch, dass er
in den Zügen und in der ganzen Gestalt das innere Leben, das Empfinden
und den Charakter des Menschen ausdrückt. Darin liegt ja auch der
grosse Fortschritt der ziveiten Blüthe der Malerei des Nordens, derjenigen
durch die oberdeutschen Schulen in der Wende vom I5. zum I6. jahr-
hundert, im Gegensatz zu der ersten durch die Niederländer des I5.]ahr-
hunderts; diese begnügt sich mit einer einfachen Wiedergabe der Natur,
jene aber, und zwar in erster Linie durch Dürer, vertieft das Problem,
indem sie mit der Wiedergabe der äusseren Erscheinung das innere Leben
des Menschen darzustellen strebt, nicht nur sein physisches, sondern vor
Allem auch sein psychisches Wesen als künstlerischen Vorwurf aufgreift.
Ansätze zu dieser Richtung finden sich bereits in sehr frühen Werken
Dürer's, ja schon in manchen Schongauens, und die meisten Blätter der
grossen Passion wurden, wie ja auch die 1504 gezeichnete grüne Passion
(Wien, Albertina), schon vor der venezianischen Reise entworfen, aber