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Haus.
Kunst fürs
Dürefs
Dürer's überlegen, doch schon durch den Inhalt der Zusammenhang mit
jenen erkennen, die Anregung, die Dürer von ihnen empfangen hatte, so
zeigt dagegen die umfangreichste Gruppe der Stiche dieser Periode, die
Blätter mythologisch-allegorischen Inhalts, sowohl dem Gegenstande als
auch der Darstellung nach Dürer durchweg als den kühnen Neuerer in der
Kunst des Nordens. Die Absicht, das Stoffgebiet der zeichnenden Künste
zu erweitern, die ihn in den früheren Jahren sehr stark beschäftigte, ist
hier klar; später, wo er sich im Stoffe beschränkt, greift er derartige
Gegenstände nur mehr ganz vereinzelt auf. Dass Dürer in der Wahl des
Stoffes bei diesen Blättern von seinen gelehrten Freunden, noch bedeutender
aber durch die italienische Kunst beeinflusst wurde, ist sicher, aber er
erfasst diese Vorwürfe durchweg selbständig, verfolgt in ihnen seine eigenen
Ziele; das vornehmste derselben war unstreitig das Studium der mensch-
liehen, hier vor Allem der weiblichen Gestalt. 1) Man muss sich daran
erinnern, auf welch befangener Stufe das Formgefühl der nordischen Kunst
am Ausgange des Mittelalters stand; man muss bedenken, dass diese
Stiche Dürens meist dem Ende des I5. Jahrhunderts und den ersten
Jahren des 16. angehören, um deren grosses Verdienst gerecht zu würdigen.
Das Studium des menschlichen Körpers bildete naturgemäss die Grund-
lage einer Kunst, wie der Dürer's; er verfolgte es mit unermüdlichem
Eifer durch sein ganzes Leben; seine theoretischen Untersuchungen, durch
die er aber nicht etwa einen Kanon für die Zeichnung zu gewinnen, sondern
nur Klarheit über das Gesetzmässige in der Form des menschlichen
Körpers, vor Allem natürlich über die Verhältnisse desselben erstrebt, be-
zeugen dies; weit interessanter aber noch seine herrlichen Zeichnungen.
Der Ausgangspunkt von Dürerls Studien, sein stetes Vorbild war die
Natur, und in erster Linie war es ihm, so recht bezeichnend für
sein ganzes Wesen, um Wahrheit der Form, um das Erfassen des
Charakteristischen, weniger um Schönheit zu thun. Die grosse Fortuna
(B. 77) zeigt dies deutlich genug; um das mächtige Weib vollkommen
naturwahr darzustellen, verschmäht Dürer jede Verschönerung; dass aber
auch er nicht ein solch hässliches, sondern ein, wenn auch nicht ideal
schönes, so doch naturwahr schönes Weib als das künstlerisch anziehender-e
Problem erkannte, lehrt gerade wieder ein Blick auf die Stiche. Die grosse
Fortuna steht in ihrer Hässlichkeit doch vereinzelt da, sie war gewiss nicht
das Endziel von Dürefs Studium der weiblichen Gestalt, sondern dasselbe
ist die hübsche Eva auf dem Stiche von 1504 (B. I), Schöne lFiormen
es scheint dies heutzutage ja nicht selbstverständlich zu sein finden sich
1) Ueber das Formstudium Dürefs als den bestimmenden Faktor seiner Entwicklung
handelt eingehend A. Springer in seinen Bildern zur neueren Kunstgeschichte II, 43 u. ff.,
sowie in der soeben (nach der Niederschrift dieses Aufsatzes) erschienenen Dürer-Biographie.