Volltext: Deutsche und italienische Kunstcharaktere

Verona. 
Kirche noch deutlich das Nachleben der romanischen Formenwelt erkennen 
lässt, darüber befinden sich kleine Blendarkaden mit zierlichen gothischen 
Säulchen und elegant dekorirten Spitzbogen. Sehr hübsch wirkt die 
Freitreppe zum Nordportal, besonders durch den Vorbau, der sie mit 
weitgespanntem Spitzbogen überwölbt, den Pilaster und zwei gothische 
Säulen tragen. 
Der gothische Umbau des Domes, eine entschieden hervorragende 
architektonische Leistung, in der Lübke wohl mit Recht Einflüsse des 
Domes zu Mailand vermuthete, wurde 1402 begonnen, aber erst I 514 
vollendet, I5 34 fanden die Umbauten durch Sammichele statt. Das Ganze 
wirkt ungemein frei und grossräumig, und die mächtigen Pfeiler von ein- 
fach klarer Gliederung passen trefflich zu dem grossartigen Raum; im 
Einklang damit strebt auch das Detail nicht nach feiner, sorgfältiger 
Durchbildung, wie bei deutschen oder französischen Bauten, sondern nach 
breiter, dekorativer Wirkung, das Detail ist, zumal an den Gurten und 
Rippen, hübsch erfunden; die Reize nordischer Gothik, die zu dem 
Gesammtcharakter des Baues auch wenig passen würden, darf man hier 
natürlich nicht suchen. 
Bedeutender noch als in der gothischen Architektur erscheint Verona 
in der gleichzeitigen Plastik. Allein schon das Hauptwerk derselben, die 
Grabmäler der Skaliger, beweisen, dass hier der Mittelpunkt einer grossen 
plastischen Schule jener Zeit. Auf dem stillen, kleinen Platze vor der Kirche 
S. Maria antica, gerade neben der piazza dei signori, dem Denkmale der 
Macht jener Herrscher, machen sie einen stimmungsvollen, grossartigen 
Eindruck und gehören zu den reichsten und eigenartigsten Leistungen 
gothischer Plastik. Besonders in klaren Mondscheinnächten packt mächtig 
die phantastische Wirkung, Welche die zahlreichen, auf schlanken Säulen 
ruhenden Baldachine mit ihren Spitzgiebeln und Fialen, die Figuren unter, 
neben und über denselben hervorrufen, es erinnert diese Phantastik an 
die des romanischen Ornamentes Veronas, aber auch daran, wie die ober- 
italienische Kunst trotz ihres so verschiedenen Grundcharakters doch so 
manche Zuge besitzt, die, im Gegensatz zur toskanischen Kunst, dem 
Norden verwandt erscheinen. Gerade den Gegensatz und die Verwandt- 
schaft der oberitalienischen Kunst zur toskanischen, andererseits aber auch 
zu der deutschen, spricht nicht leicht wieder ein Kunstwerk so klar und 
bedeutend aus, wie die Denkmale der Skaliger. 
Entgegen dem deutschen Brauche, die Grabsteine in den Fussboden 
der Kirche einzulassen und die schönen Hochgräber bescheiden in einen 
dunklen Winkel der Kirche zu stellen, errichten die Skaligei" nicht in der 
Kirche, sondern auf dem Platze vor derselben ihre Grabmäler. Die 
Denkmäler werden so, worauf schon Burkhardt in seinem geistvollen 
Cicerone hingewiesen, zu weltlichen Monumenten, die auf offenem Platze 
Riehl, Kunstcharaktere. Ö
	        
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