mir das Erinnerungsbild der Wolken, wie sie sind, vollkommen
frisch im Gedächtnisse ist, hat doch die genannte künstlerische
Verwerthung für mich nichts Befremdendes. Es beruht dieses
wieder darauf, dass bei künstlerischen Urtheilen nicht die
Kenntnisse, sondern die kindlichen und unmittelbaren Vorstel-
lungen von den Dingen den Ausschlag geben. Nach den letzteren
sind die Wolken in der That verhältnissmäissig compact und
körperlich, Wie schon die Ausdrücke "Haufenwolken", "Schäf-
chen", "Wolkenmauer" etc. zeigen.
Hieher gehört es auch, wenn der Künstler seiner Figur
eine Stütze in einem anderen lebenden Wesen gibt, sei es ein
Thier oder eine menschliche Gestalt. Dabei können die letzteren
auch schwebend gedacht sein. Ich erinnere an manche pompe-
janische Gemälde. Eine Nymphe umfasst den Hals eines See-
ungeheuers oder stützt sich leicht auf einen Delphin und hält
sich so neben dem Thiere in der Schwebe, indem sie sich
augenscheinlich nachziehen lässt. Das Thier kann im Wasser
sein, kommt aber auch als frei in der Luft schwebend vorl),
Aehnliches Hndet sich in antiken Terracotta-Reliefs 2).
Auch in der späteren Zeit wird dieser Kunstgriff oftmals
verwendet, unter Anderem von Raphael bei Seinem Gottvater
im Vatican (Vision des Ezechiel), der sich auf die drei Thiere
der Apostel und zwei Engel stützt dass erstere auf Wolken
ruhen und hiebei ihre Flügel ausbreiten, ist für den Gesammt-
effect von untergeordneter Bedeutung und in vollendetster
Weise bei Michelangelo in dessen Erschaffung des Adam 3G).
Hier schwebt der belebende Gott von mehreren engelartigeru
Gestalten mit sichtlicher Anstrengung getragen und umwallt
von einem mächtigen Mantel dem ersten Menschen entgegen.
Die tragenden Figuren sind Hügellos. Ein Theil dieser Gruppe
ist in Fig. 3 skizzirt.
Das in Rede stehende Motiv beruht auf einem anderen
psychischen Momente als die früher besprochenen. Man sollte
1) Selbstverständlich ist auch im letzteren Falle das Motiv den Spielen
der Nymphen und Thiere im Wasser entnommen.
2) "Monumenti inediti publicati dall' instituto di correspondenza." 1879.
Vol. XI. Taf. Xa.
3) Sixtinische Capelle des Vaticans.