78 Em GRUNDPROBLEM Das KUNSTGEWERBES.
selbst gestaltete, weist auf den Grundunterschied unserer
Epoche von jener frühereren hin: es ist uns die naive
schöpferische Kraft abhanden gekommen, und wir betrach-
ten es als die Aufgabe der Wissenschaft, den versiegten
Born wieder aufsprudeln zu lassen. Das Mittel wäre falsch
gewählt, wenn es nicht dem eigentlichen Charakter unsrer
Zeit entspränge, in welcher an die Stelle des unmittelbaren,
aus dem Gefühle quellenden Schaffens das aus der Er-
kenntnis seiner Gründe wirkende Schaffen getreten ist.
Wir brauchen aber auch nicht zu fürchten, daß das Mittel
ein falsch gewähltes sei: die von den gelehrten Kreisen
ausgehende litterarische Bewegung des vorigen jahrhun-
derts mit dem sich daranschließenden großartigen Auf-
schwung unserer Dichtung hat bewiesen, daß es sehr gut
möglich ist, erst durch die Leuchte der WVissenschaft der
Kunst den richtigen Weg zu zeigen und, falls die Talente
nicht fehlen, dann auf diesem das Große zu gestalten.
Nur muß eben dieser richtige Weg gefunden werden, nur
müssen die Gründe richtig erkannt werden, auf welchen
die künstlerische Gestaltung des Handwerkes beruht, nur
muß nachgewiesen werden, wie eine solche sich zu den
eigensten Anforderungen unserer Zeit an die Leistungen
des Handwerkes stellt.
Nennen wir Handwerksthätigkeit diejenige Thätigkeit,
welche einen Stoff so umgestaltet, daß er für den erstreb-
ten Gebrauch möglichst geeignet wird, so kommt das
künstlerische Element dann hinzu, wenn er in seiner Ge-
staltung ein Mehr enthält, welches über das ihn zum best-
möglichen Gebrauche Befähigende hinausgeht und für
diesen Gebrauch nicht unbedingt notwendig ist. Wird ein
Baumstamm als Träger benutzt und zu diesem Zwecke
als Balken bearbeitet, so ist dies Sache des Handwerks;
wird die zur Aufnahme der Last notwendige Erweiterung
an der Auflagerungsstelle statt durch schräge Stützen viel-
mehr durch Umgestaltung des erweiterten oberen Teiles zu
einem Blattkranz erreicht, so ist ein künstlerisches Element
hinzugetreten. Dies aber darf, wenn es wirklich künst-
lerisch wirken soll, zweier Eigenschaften nicht entbehren,
die, wie es scheint, in unsrer Zeit nicht immer scharf genug