LEBENDE
BILDER.
Derselbe Fortgang wie für die Gestaltung der Einzel-
erscheinting ergiebt sich auch für die Komposition. Auch
hier erscheint anfangs kräftig sich fühlbar machende
Gesetzmäßigkeit mit allmählich feiner und versteckter
werdender Unterordnung des Einzelnen, bis sie zur absicht-
lich den Schein der Naturwahrheit erstrebenden künstlichen
Unordnung und Zufälligkeit übergeht, von welcher der
Schritt zum wirklichen Aufgeben des Wesens des Kunst-
werks nicht mehr weit ist.
Ist es nun aber im Gegensätze zum Kunstwerke gerade
das Zufällige, das sich in der Natur uns entgegendrängt
und den einheitlichen Eindruck stört, ist es, wenn einmal
ausnahmsweise ein solcher gewonnen werden kann, die
Vergänglichkeit des Augenblicks, die uns unbarmherzig
dem ästhetischen Genusse entreißt und in die Alltäglichkeit
der gestörten Empfindung zurückwirft: so ist das Bestreben,
solche Erscheinungen des Augenblicks zu fesseln, ein sehr
natürliches. Der einfachste Weg dazu ist der, mit Auf-
gebung der lebendigen Natur die Erscheinung festzuhalten
er führt zum Kunstwerk. Aber noch eine andere
Richtung ist berechtigt, nämlich die, die ästhetische Erschei-
nung in der lebendigen Natur selbst festzuhalten; diese führt
zum nlebenden Bildea, das freilich, da es lebt und wirkliche
Natur ist, der Vergänglichkeit nur kärglich Halt gebieten
und daher nur für den Augenblick Bedeutung haben kann,
nie aber den charakteristischen Vorzug der Kunstschöpfting,
den der Dauer, gewinnt und daher immer nur eine unter-
geordnete Bedeutung beanspruchen kann. Soll dieser
Mangel einigermaßen ersetzt werden, so muß die Erscheinung
eine möglichst vollendete sein, bei welcher das ästhetische
Element rasch als der wesentliche Gesichtspunkt ins Auge
springt. Dies wird am meisten dann der Fall sein, wenn
der Gegenstand des lebenden Bildes nicht ein der unmittel-
baren Wirklichkeit glücklich abgelauschter, sondern ein
bereits durch denkünstlerischen Prozess gewonnener und
dem Wesen der Kunstschöpfting entsprechend durchge-
arbeiteter ist. Dann vermag allerdings das lebende Bild
den seltenen Genuß einer durchaus ästhetisch gestalteten
Wirklichkeit zu geben: es kann uns für einen Augenblick