ANHANG. 325
Abwehr andeuten: er erhebt daher den Mittelfinger und
benutzt diesen sowie die beiden ersten Finger zur Darstellung
dieses Motivs. So würde sich die Haltung des Apfels ver-
stehen lassen: ohne eine solche Doppelabsicht ist die Haltung
des Apfels mit den letzten Fingern unnatürlich. Zu billigen
freilich ist dies Verfahren künstlerisch nicht; es zeigte aber
wenigstens, daß der Restaurator versucht hätte, bei der
Hinzufügung des Apfels das alte achte Motiv beizubehalten.
Dieses Motiv der Abwehr nennt Heydemann nprüde
abiveisena (S. 7). Ich verlange Nachweis, wo in meiner Er-
klärung je auch nur eine Spur davon zu finden ist, daß die
Abwehr eine nprüdea ist. Ich habe meine erste Arbeit nicht
die nprüde Frau von Miloa, sondern die nhohe Frau von
Milox genannt. Heydemann hält doch sicher nicht jede Zu-
rückweisung seitens einer Frau für eine nPrüderiea Kann er
den verlangten Nachweis nicht liefern, so hat er kein Recht, eine
solche Charakteristik zu geben, welche meine Auffassung fälscht.
So entschieden ich tiberzeugt bin, daß er nicht im entfern-
testen daran denkt, dies thun zu wollen, so entschieden
muß ich betonen, daß derartige Bezeichnungen eine Miß-
deutung notwendig zur Folge haben: in wissenschaftlichen
Arbeiten muß man sich aber auf die Glaubwürdigkeit des
Referates unbedingt verlassen können. Wie schlimm das
wirkt, zeigt folgendes Beispiel. In demselben mißverstehenden
Sinne hat Bernoulli 1873 in seiner nAphroditecr geschrieben
(S. 159): nZu Repräsentanten der sinnlichen Lust haben die
griechischen Künstler nicht Götter oder an Hoheit den
Göttern ähnliche Figuren gewählt, sondern dazu war das Ge-
schlecht der Satyrn gut genugmr Das wird denn nun weiter
prüfungslos wiederholt. Goeler von Ravensburg sagt S. 80
(Die Venus v. Bernoulli mache dies gegen mich nmit
Recht geltendu In meinem nNeues über die V. v.
S. 35 f. heißt es: nWo der Faun zur That schreitet, wo der
Satyr täppisch zugreift, wird der Gott von der Schönheit über-
waltigt und ergriffen, bringt aber durch seine Bewunderung
nicht minder den Effekt abwehrender Haltung und Mienen
zu Wegen In Kapitel VI (nDas Motiv der Zurückweisunga)
und Kap. VII (nDas Motiv der Entblößung des weiblichen
Körpersa) weise ich den Gang der Entwickelung dieser Motive
nach, zeige in Kap. VIII (nDas Motiv der Schamhaftigkeita)
an allbekannten Beispielen, wie allmählich der sinnliche
Reiz mit der verfallenden, dem Luxus und der Lüstern-
heit dienenden Kunst zunimmt, bis er seinen Gipfelpunkt mit
Hermaphroditen und Panen erreicht, und 1885 kommt Wolters
und schreibt a. O. S. 562 : nWie V. Valentin, die hohe Frau von
Milo, Aphrodite in einer Lage dargestellt glauben kann, in
welcher antike Künstler sonst nur Nymphen mit den lüsternen