18
MODE.
TRACHT um)
andrer sein, weil er von der Anlage des Individuums ab-
hängt. Ein Kind vermag nicht eine gleich große Anzahl
von Eindrücken zu einer Empfindung zusammenzufassen
wie der Erwachsene, der Landmann nicht wie der Städter,
der Ungebildete nicht wie der Gebildete, und dieser nicht in
gleich hohem Grade wie der Fachmann. Wer mit einem
Kinde an der Hand über die Straße gegangen ist, erinnert
sich, wie er das Kind, besonders beim Vorübergehen an
Schaufenstern, stets nach sich ziehen mußte, wie das Kind
stets mit zurückgewandtem Kopfe ging: während der Er-
wachsene die sinnlichen Eindrücke rasch erfaßt hatte,
vermag das Kind nicht sie in derselben Zeit zu bewältigen.
Als entgegengesetztes Beispiel sei folgendes erwähnt. Der
Zauberkünstler Houdin in Paris erzählt von sich, er habe
sich geübt, möglichst viele Gegenstände mit einem einzigen
Blicke zu erfassen, und er habe es dahin gebracht, daß,
wenn er an einem Spielwaarenladen vorbeiging und den
Erker ein einziges Mal rasch überblickte und dann die
Augen schloß, er genaue Rechenschaft über Aussehen und
Lage von vierzig Gegenständen habe geben können. Hier
war also eine Anlage bis ins Unglaubliche ausgebildet, die
beim Kinde in ihrer ersten Entwicklung vorhanden ist.
Wenn nun der Geschmack so sehr von der Fähigkeit
des Einzelnen abhängt, so könnte man daraus schließen,
daß es überhaupt keinen allgemeingiltigen Geschmack gebe,
und darauf scheint ja auch der bekannte Ausdruck, daß man
über den Geschmack nicht streiten müsse, hinzuweisen. Allein
es kommt hier doch in Betracht, daß die Grenze der Fähig-
keit, eine Reihe von Eindrücken zusammenzufassen, in der
That eine höchst enge ist, und daß diese Grenze für alle
Menschen giltig bleibt, sobald man von den Virtuosen ab-
sieht, die es auch auf diesem Gebiete giebt wie anderswo.
Der Unterschied der Menschen überhaupt bewegt sich daher
innerhalb der möglichst niedrigen Stufe, auf welcher die
Zusammenfassung zweier Eindrücke bereits die Vollkraft
in Anspruch nimmt, und der nicht allzu weit davon ent-
fernten Grenze. Und hierbei ist es nun merkwürdig, wie
bei gleichartigen, unter denselben Verhältnissen sich ent-
wickelnden Menschen eine Durchschnittsfahigkeit sich