300 PAUL WALLoTs REICHSTAGSGEBÄUDE.
auch nicht den Charakter der bleibend in ihnen Verweilen-
den tragen: er muß vielmehr das Vorübergehende, das
infolge des beständigen Wechsels seiner Besucher nicht
Charakterisierte, unberührt Gelassene, ausdrücken, d. h. er
kann keinen individuellen Ausdruck erhalten. Es tritt aber
hier noch eine neue Schwierigkeit hinzu. An das Em-
pfangsgebätide, welches der ästhetischen Erscheinung nach
die Hauptsache bildet, schließt sich noch die Ein- und
Aussteigehalle mit ihren technischen Anforderungen an.
Sie ist wirklich der Hauptteil des Gebäudes, der dem
Ganzen den Charakter geben müßte: sie ist aber zu-
gleich in ihrer Benutzung und Gestaltung so disparat mit
der des Empfangsgebäudes, daß eine einheitliche, den Ge-
samtzwecl; klar zum Ausdruck bringende Form noch nicht
gefunden ist: überall fallen ästhetisch die beiden Teile
auseinander.
Auch bei dem Theater handelt es sich um die Ver-
bindung zweier in ihrer Erscheinung und Benutzung sehr
verschiedenartiger Räume, der Bühne und des Zuschauer-
raumes. Das Dresdener Hoftheater läßt daher auch in
der Erscheinung jeden der beiden Teile deutlich hervor-
treten und sucht dadurch auf die Bestimmung des Baues
hinzuweisen: allein die Einheitlichkeit des Gesamtbaties
geht darüber verloren und damit, trotzdem der Zweck des
Gebäudes gerade hier verhältnismäßig deutlich ausgeprägt
ist, ganz gewiß auch der wesentlichste Teil des Charak-
ters der Monumentalität, der nicht Wirken, ja überhaupt
nicht existieren kann, wenn der Wirkung die Einheitlich-
keit abgeht. Das neue Frankfurter Opernhaus dagegen
hält an dieser Einheitlichkeit der Gesamterscheinung
fest und gewinnt dadurch eine bedeutende künstlerische
Wirkung: aber die Hindeutung auf den Zweck des Hauses
ist damit aufgegeben, und es rnuß dieser durch die bild-
nerischen Zuthaten, den Giebel- und den Akroterienschmuck
sowie durch sonstige Bildwerke gewonnen werden. Die
Architektur als solche hat nur den monumentalen Eindruck
erreicht, vermag aber die Bestimmung des Gebäudes, so-
weit es sich nicht um überlieferte Pomen handelt, nicht
auszusprechen.