CORNELIUS um) DAS WELTGERICHT. 277
solches Spiel mit den einander enge verwandten Reizen
von Grausamkeit und Sinnenlust ist ein sicheres Zeichen
einer abwärts gehenden Kunstentwickelung: in der Antike
begegnet es uns in gleicher Verbindung bei der Dirkegruppe
(vgl. oben S. 119 ff). Dieser Tendenz gemäß überwiegen die
Körperverhältnisse dieser Gruppen bedeutend die des Welt-
richters und seiner Umgebung, zugleich ein Zeichen, wie bei
der wachsenden ästhetischen Richtung die technischen Gesetze
schärfer beobachtet werden,damit die mehr und mehr gesuchte
Naturwahrheit immer entschiedener erreicht werde. Hier
stimmt diese Beobachtung der Perspektive freilich sehr gut
zu dem Streben nach sinnlich packender Wirkung. Michel-
angelo hatte sich über sie hinausgesetzt: die Gestalten im
Himmel, obgleich entfernter zu denken, sind dennoch größer
gehalten als die näher befindlichen Körper der Auferstehen-
den; ihm war der Vorgang im Himmel die Hauptsache,
die Auferstehung für diese nur die Veranlassung ihrer Er-
scheinung. Damit erreichte er jedoch zugleich bei der be-
trächtlichen Höhe des Bildes für die entfernteren Gestalten
größere Deutlichkeit, wie sie durch ihre Bedeutung innerhalb
der Gesamtdarstellung verlangt wird. Wie sehrim Gegensatze
dazu für Rubens das Gewimmel des Aufsteigens mit seinen
Gemüt und Sinne ergreifenden Szenen das eigentliche Problem
der Darstellung war, beweist der Umstand, daß er gerade
dieses Motiv noch einmal selbständig behandelt hat als ob
das Ereignis von der Seite her gesehen würde, und zwar
von der Seite der Verdammten aus, sodaß der Weltrichter
recht eigentlich nur der Vorwand, die äußere Gelegenheit
für die Ermöglichung einer solchen Darstellung wird. Be-
deutsam hierfür ist es, daß in die Zeit des njüngsten Ge-
richtsu die wAmazonenschlachtu fällt: auf ihr findet dasselbe
Grundmotiv von Ansturm und Absturz eine der veränderten
Veranlassung gemäße Lösung. Dieses Zusammentreffen
zeigt deutlich, wie die Phantasie des Künstlers von diesem
Motive erfüllt war und es mannigfaltig zu gestalten suchte.
Es ist klar, daß ein Weiterschreiten auf diesem Wege
von der größten Gefahr für die Kunstentwickelung sein
mußte: nur der große Künstler vermochte, weil er zugleich
ein großer Mensch war, seine Schöpfung so gehaltvoll zu