268 CORNELIUS um) DAS WELTGERICHT.
Erscheinungsform den Glauben an die reale Wahrheit; sie
kann somit von dem auf solche Weise in Anspruch ge-
nommenen Gemüte nicht zugleich als ein Erzeugnis dichte-
rischer Phantasie Anspruch auf rein künstlerische Wert-
schätzung erheben, und daher auch nicht den Erfolg einer
unmittelbaren Wirkung nach der ästhetischen Seite hin
erzielen. Der Widerspruch erhebt sich von zwei Seiten
her. Das gläubige Gemüt bedarf des reichen künst-
lerischen Apparates nicht, ja es wird in seiner Unbefangen-
heit gestört, wenn eine doch immerhin individuelle Auf-
fassungsweise der heiligen Gegenstände sich an die Stelle
des allgemeingiltigen Glaubens drängt, der sich mit der
Thatsache im großen und ganzen wohl abzufinden wußte,
der aber sofort auf Zweifel und Bedenken stößt, sobald
ein allgemeiner Glaubenssatz eine bestimmte, ausgeprägt
individuell gefärbte Gestaltung annimmt. Das künstlerisch
empfindende Gemüt dagegen wird durch den Anspruch
gestört, daß es hier nicht bloß ästhetisch empfinden, sondern
dem als ästhetisch Empfundenen noch eine reale Wahrheit
zugestehen soll, welche ihm in der gerade so gestalteten
sinnlichen Auflassung vielleicht ebenso widerstrebt, wie es
bereit ist, die dem Vorgange zugrunde liegende ideale
Wahrheit anzuerkennen. Stände die christliche Mythologie
der Annahme ihrer realen Existenz ebenso anspruchslos
gegenüber wie die hellenische, so wäre eine unbefangene
Auffassung eines solchen Werkes auch dem ästhetisch
emplindenden Menschen möglich gemacht.
In früheren Zeiten war das anders. Wenn im vier-
zehnten und im fünfzehnten Jahrhundert deutsche und
italienische Künstler nWeltgerichtea schufen, so standen
sie mit den Beschauern auf dem gleichen Standpunkte,
welcher die reale Wahrheit des Vorganges in keiner Weise
bezweifelt. Demgemäß gab es auch ganz bestimmte
Punkte, an welchen in keiner Weise gerüttelt werden
durfte und welche die Grenze für die individuelle Freiheit
des zugleich auch auf ästhetische Wirkung ausgehenden
Künstlers bildeten. Da war unter dem als Weltrichter
erscheinenden Christus der Ort der Auferstehung mit
möglichst deutlicher Betonung dieser Handlung; da schieden