Volltext: Über Kunst, Künstler und Kunstwerke

CORNELIUS um: ms WELTGERICHT. 26; 
 
der kunstgeschichtlichen Entwickelung lehrt deutlich, wie 
auch das Kunsterzeugnis zuerst ein Werkzeug zur Er- 
reichung irgendeiner Absicht gewesen und somit einer Not- 
Wendigkeit entsprungen ist, und wie erst eine Befreiung 
von diesem Dienstverhältnisse die Erzielung einer nur 
ästhetischen Wirkung ermöglicht hat. Der Prozeß dieser 
Befreiung läßt sich nirgends deutlicher verfolgen als an 
den dem Kultus dienenden Kunsterzeugnissen: erst sind 
sie das dem Bedürfnisse und somit der Notwendigkeit ent- 
sprungene Werkzeug, welches dem Gläubigen einen sinn- 
lich erfaßbaren Anhaltspunkt für das Verständnis der 
Gottheit und den Verkehr mit ihr geben soll. Nur sehr 
langsam wird die hiermit im Keime gegebene Möglichkeit, 
auf die Phantasie des Gläubigen nicht nur religiös, sondern 
auch ästhetisch zu wirken, zum Leben erwachen: dies ist 
der Augenblick, in welchem aus der handwerksmäßigen 
Thätigkeit der Verfertiger von Kultusgegenständen die indi- 
viduelle Auffassungsweise einer künstlerischen Empfindung 
sich herauslöst und eine wirkliche Kunstentwickelung im 
ästhetischen Sinne des Wortes beginnt. Aber noch muß 
sich der Künstler, wenn er seine eigentümliche Auffassungs- 
weise aussprechen will, vorsichtig an Nebensachen halten, 
und nur langsam darf er auch den Hauptgegenstand als 
Träger seiner persönlichen Empfindungsweise verwenden, 
bis endlich die ästhetische Auffassung die Herrschaft ge- 
winnt und für den Beschauer wie für den Künstler die 
Hauptsache wird. Nun kehrt sich allmählich das Verhältnis 
um: der Kultusgegenstand giebt nur die Veranlassung, 
ja man kann sagen den Vorwand für die rein ästhetisch 
gedachte Darstellung her, bis dann endlich auch dieser 
Rest beiseite geworfen und der einfach menschliche 
Inhalt für das neue, unverhohlen ausgesprochene Ziel als 
nicht nur genügend, sondern geradezu als erforderlich er- 
kannt wird (vgl. oben S. 34-41 die dort von einem 
anderen Gesichtspunkte gegebene Darlegung dieses Vor- 
ganges). Ein Blick auf die Götterdarstellungen der alten 
Welt, besonders die der Aphrodite, zeigen diesen Gang 
deutlich; nicht minder thun dies die Kultusdarstellungen 
der christlichen Kunst, hier besonders die der höchsten
	        
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