260 RAFFAELS TRANSFIGURATION.
nach der des Matthäus aber an demselben Tage vor sich
gingen und zwar in diesem Falle so, daß eine Gleichzeitig-
keit notwendig war: sie liegt vielmehr darin, daß er die
Verklärung zuerst durch den Teufel selbst infolge seines
dämonischen, die Gottheit erkennenden Wesens schauen
und denen verkündigen läßt, welche von dem Ereignisse
jetzt schon wissen durften. Durch sein Entsetzen, welches
in seiner Wirkung auf den Knaben dessen Angehörigen als
neuer Ausbruch der Krankheit erscheinen muss, zeigt sich
nicht nur der Knabe selbst in lebhaftester Bewegung,
sondern auch die Verwandten erschrecken aufs neue und
wohl noch heftiger als früher, da sie hier Heilung gehofft
hatten und Unerwartetes, Rätselhaftes miterleben. Im
Gegensatze dazu entwickelt sich die reiche Stufenleiter der
Empfindungen, welche durch die Verklärung mittelbar in
den Aposteln unten, unmittelbar in allen Teilnehmern der
oberen Szene hervorgerufen werden. Diese Empfindungen
alle, sowie ihre Äußerungen haben aber nur eine Quelle,
wodurch die ganze Handlung als einheitliche zusammen-
gehalten wird. So hat Raffael ein Werk geschaffen, das trotz
des Reichtums der Persönlichkeiten und ihrer verschiedenen
Daseinsarten dennoch sich in allen seinen Gestalten und
ihren Bethätigungen aus einer einzigen Thatsache entwick-
kelt, so wie es Lionardo in seinem Abendmahle gethan
hat: nur war hier die Szene einfacher, die Persönlich-
keiten einheitlicher Art. Die rasch voranschreitende Kunst-
entwickelung duldete aber diese feierliche Einfachheit der
symmetrischen Kompositionsweise nicht mehr: da zeigte
Raffael mit seinem letzten Werke, wie die immer freier
werdende, immer mehr das Gepräge der natürlichen Er-
scheinung des wirklichen Daseins suchende Gestaltung der
Szenen doch noch zu einer harmonischen Schöpfung sich
zusammenschließen könne, wenn nur die beherrschende
künstlerische Kraft nicht fehlt und von dem unentwegten
Sinne für das Maßvolle erfüllt ist.