Dns Vxauus von Mn.o. 245
regt und in kräftigem Wellenschlag alle Glieder durch-
dringt, jedes nach seiner Art bewegt, aus jedem die Antwort
hervorlockt, die es nach seiner Stellung im Ganzen, nach
der Eigenart seines Baues und seiner Funktionen geben
muß. Dies zu können ist aber Sache des großen Meisters,
und als solchen lobt den Namenlosen sein Werk, die
hohe Frau von Milo.
Wir könnten uns mit dieser Erkenntnis wohl genügen
lassen: sie hätte bei dem Versuche das Rätsel zu lösen,
das Wesentlichste der wissenschaftlichen Forschung erreicht,
sie hätte erkannt, was dargestellt ist. Diese Lösung wäre
indessen erst ganz vollständig, wenn wir auch wüßten,
wer dargestellt ist, da dann die Absicht des Künstlers voll-
ständig verstanden werden kann.
Hier muß zunächst festgestellt werden, daß die auch
hier mit ihrem traditionellen Namen so genannte nVenus
von Miloa keineswegs eine Venus sein muß. Das einzige
Attribut, welches hierfür mit einiger Sicherheit sprechen
könnte, wäre der Apfel in der linken Hand. Allein es
ist nicht nachgewiesen, daß er von Anfang an zu der
Statue gehört hat, wenn er überhaupt zu ihr gehört hat.
Es bleibt also nur der Eindruck der Schönheit übrig; diese
kommt jedoch auch anderen Göttinnen wie auch irdischen
Frauen zu. Der unbestreitbar vorhandene Ernst des Aus-
drucks aber stimmt nicht zu der namentlich später üblichen
Art der Darstellung der Venus. Dies schließt jedoch die
Möglichkeit nicht aus, daß die Liebesgöttin auch einmal
ernst aufgefaßt sein könnte: ihr ist weder jede Liebe noch
jeder Bewerber recht; sie kann daher auch einmal zurück-
weisen.
Nun bietet die Mythologie eine Erzählung, welche die
Beschaffenheit der hier vorausgesetzten Lage am besten
erläutern könnte: die von Aktäon beim Bade erblickte
Artemis. Denkt man sich die Göttin an dem Wasser
stehend oder dem Bade wieder entstiegen, so erklärt es sich,
Warum das Gewand nur in einem Tuche besteht. Da wird
sie erblickt, und während das Weib in ihr nach dem nur
lose umgeschlagenen und nur momentan von den Beinen
durch Spannung gehaltenen, zum Fallen geneigten Gewande