Volltext: Über Kunst, Künstler und Kunstwerke

242 DIE VENUS VON MILO. 
 
überhaupt als bewegt erscheinen zu lassen. Wie mit 
solcher Unvollkommenheit die sonst so hoch gerühmte 
TreHlichkeit nach allen Seiten hin in Einklang zu bringen 
ist, bleibt natürlich ein Rätsel. Oder das Motiv mit dem 
Apfel rührt nicht von dem Originalkünstler her, der ein 
so bedeutender Meister war, daß das in dem Arme und 
in der Hand sich darstellende Motiv ein Ausfiuß des Haupt- 
motives sein muß, und daß, wenn dieses dramatisch ist, 
jenes nicht typisch sein kann. 
Wenn nun aber das Apfelmotiv nicht vom Original- 
künstler herrührt, die Hand mit dem Apfel aber doch 
wahrscheinlich einmal zur Statue gehört hat, so bleibt nur 
eine Möglichkeit: eine antike Restauration. Eine solche 
kann so stattgefunden haben, daß dem Restaurator das 
ursprüngliche Motiv nicht mehr bekannt war und er nach 
eigner Eingebung restaurierte und so zu einem Irrtum kam, 
der uns nicht in Erstaunen setzen darf, die wir so manche 
Gelehrte und Künstler unter Übersehung der Kardinalfrage 
denselben Weg gehen sehen. Sie kann aber auch die 
Folge einer absichtlichen Änderung sein: der Stadt Melos 
zu Liebe gab man der Statue das den Namen der Stadt 
charakterisierende Wappen derselben, den Apfel ((151011) 
in die Hand, zugleich, falls die Statue eine Venus darstellte, 
mit Bezug auf sie, da der Apfel als Symbol der Liebe galt, 
wie dies nicht nur in Griechenland, sondern überhaupt im 
Orient der Fall war: tritt er doch schon im Paradiese in 
dieser Bedeutung auf. Ein solches Verfahren wäre zwar 
unkünstlerisch, aber noch nicht barbarisch und in Griechen- 
land nicht undenkbar gewesen: auch dort mußten die ästhe- 
tischen Gründe hinter politischen und religiösen zurück- 
treten. Eine Restauration würde auch die hohe Haltung 
des Apfels erklären, die bei dem Originalkünstler ganz 
undenkbar wäre, und ebenso die kokette Haltung des 
Apfels mit losgelöstem Mittelfinger, ein Motiv, das in die 
Zeit der ernsten Kunst nicht paßt. Vielleicht beschränkte 
sich diese antike Restauration nur auf den Unterarm, 
während das Oberarmfragment noch vom Originalkünstler 
herrührt. Dann war sie noch einfacher zu bewerkstelligen 
und beschränkte sich auf eine verhältnismäßig geringe
	        
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